Gauck
propagiert die Bereitschaft zum Krieg. Das ist nicht seine Idee.
Er ist nur ein Rädchen in einem grösseren Getriebe. Es handelt sich um eine geplante Kampagne, mit der die in der Bevölkerung weit verbreitete Ablehnung einer aggressiven deutschen Aussenpolitik umgepolt werden soll.
German Foreign Policy stellt Gaucks Tiraden in ihren Zusammenhang:
Er ist nur ein Rädchen in einem grösseren Getriebe. Es handelt sich um eine geplante Kampagne, mit der die in der Bevölkerung weit verbreitete Ablehnung einer aggressiven deutschen Aussenpolitik umgepolt werden soll.
German Foreign Policy stellt Gaucks Tiraden in ihren Zusammenhang:
BERLIN (Eigener Bericht) – Die im Herbst 2013 gestartete Berliner Eliten-Kampagne zur Legitimierung neuer Kriegseinsätze der Bundeswehr kommt nicht recht voran. Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck, man dürfe “den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein … verwerfen”, stoßen auf deutliche Kritik; Vertreter christlicher Organisationen werfen Gauck vor, er wolle nur den “Widerstand der Bevölkerung” gegen künftige Militärinterventionen aufweichen. Umfragen zeigten zuletzt eine massive Ablehnung künftiger Bundeswehreinsätze. Die Äußerungen des Bundespräsidenten stehen im Zusammenhang mit einer Kampagne, mit der das deutsche Außenpolitik-Establishment, auch gestützt von den Leitmedien, darauf abzielt, “Ziele und Anliegen” der deutschen Weltpolitik gegenüber der Bevölkerung “effektiver zu kommunizieren”, wie es in einem breit getragenen Strategiepapier vom Herbst 2013 heißt – Kriegseinsätze inklusive.
Militärische
Mittel
Mit
ausdrücklicher Unterstützung reagieren Berliner Spitzenpolitiker auf die
jüngste Wiederholung der Forderung von Bundespräsident Joachim Gauck,
Deutschland müsse in Zukunft stärkere militärische Aktivitäten im Ausland
entfalten. Mit dieser Forderung geht Gauck bereits seit dem 3. Oktober 2013
hausieren; er äußerte unter anderem auch anlässlich der Münchner
Sicherheitskonferenz Anfang 2014, bei der er als erster Bundespräsident
überhaupt sprach, und nun in einem Interview anlässlich einer Reise nach
Norwegen. “Unser Land” solle “eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten
geboten war, vielleicht ablegen”, “zugunsten einer größeren Wahrnehmung von
Verantwortung”, erklärte Gauck. Dies beziehe sich explizit auch darauf, “den
Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen”.[1]
“Effektiver
kommunizieren”
Gaucks
Äußerungen sind Teil einer Kampagne, die im außenpolitischen Establishment
Berlins im Herbst 2013 gestartet worden ist und darauf abzielt, eine
aggressivere, noch stärker als bisher auch militärisch operierende deutsche
Weltpolitik zu legitimieren. Den Ausgangspunkt hatte – neben der Rede des
Bundespräsidenten am Nationalfeiertag – ein umfangreiches Strategiepapier
gebildet, das in einem einjährigen Prozess unter fördernder Mitwirkung des
Planungsstabs im Auswärtigen Amt von rund 50 Personen aus dem außenpolitischen
Establishment Deutschlands erstellt worden war, darunter nicht nur Mitarbeiter
diverser Ministerien, Think-Tanks und Hochschulen, sondern auch Journalisten
(german-foreign-policy.com berichtete [2]). “Deutschlands gewachsene Kraft
verleiht ihm heute neue Einflussmöglichkeiten”, heißt es in dem Papier, das
unter dem Titel “Neue Macht – Neue Verantwortung” eine komplette
“Neuvermessung” der deutschen Außenpolitik verlangt. Dass dazu auch
militärische Interventionen gehören sollen, daran lassen die Autoren keinen
Zweifel. Allerdings belegt das Dokument, dass im außenpolitischen Establishment
eine möglichst breite Zustimmung der Bevölkerung zur Politik der Eliten als
erstrebenswert gilt: Die staatliche Außenpolitik müsse lernen, heißt es, “ihre
Ziele und Anliegen effektiver zu kommunizieren”.
Gebetsmühlenartig
Dem
Versuch, eine offensivere, noch stärker als bisher militärisch operierende
deutsche Weltpolitik zu “kommunizieren”, widmet sich seitdem nicht nur der
Bundespräsident. Vor allem im Umfeld der Münchner Sicherheitspolitik haben sich
zu Jahresbeginn auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) klar in diesem Sinne geäußert
(german-foreign-policy.com berichtete [3]). In jüngster Zeit ist mehrfach
darauf hingewiesen worden, dass auch Journalisten, die in das Projekt
eingebunden waren, Positionen aus dem Abschlussdokument an die Öffentlichkeit
getragen haben – zumeist, ohne ihre Einbindung deutlich zu machen.[4] Darüber
hinaus hat der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger in einer umfassenden
Analyse nachgewiesen, dass Außenpolitik-Redakteure deutscher Leitmedien in
transatlantische Eliten-Netzwerke eingebunden sind und Positionen der Berliner
Außenpolitik wie auch der NATO von ihnen dem Publikum vermittelt werden –
ebenfalls, ohne dies kenntlich zu machen, teils mit “gebetsmühlenartigen”
Widerholungen und “argumentativen Tricks”.[5] Umso erstaunlicher sind die
Zwischenergebnisse der Eliten-Kampagne, die im Frühjahr vom Ukraine-Konflikt in
den Hintergrund gedrängt und jetzt von Gauck wieder aufgenommen worden ist.
Humanitäre
Hilfe statt Militär
Die
Zwischenergebnisse lassen sich an einer Umfrage ablesen, die die Hamburger
Körber-Stiftung Ende Mai veröffentlicht hat; die Stiftung ist gleichfalls
solide in den außenpolitischen Eliten-Netzwerken der Bundesrepublik verankert.
Aus der Umfrage, die im April und im Mai durchgeführt wurde, also nach dem
ersten Anlauf der Berliner Eliten-Kampagne, geht etwa hervor, dass rund 60
Prozent der deutschen Bevölkerung dem Bundespräsidenten nicht zustimmen und die
Ansicht vertreten, Berlin solle sich in weltpolitischen Krisen “eher
zurückhalten”. Vor 20 Jahren hatten noch 62 Prozent eine gegenteilige
Auffassung geäußert. Wenn die Bundesregierung sich unbedingt stärker einmischen
wolle, dann solle sie dies mit humanitärer Hilfe und diplomatischen
Verhandlungen tun, äußern jeweils gut 85 Prozent; Sympathien für
Militäreinsätze der Bundeswehr oder für Waffenlieferungen an Verbündete haben
lediglich 13 Prozent. Eine gewisse Hoffnung zieht die Körber-Stiftung aus dem
Resultat der Umfrage, “dass die Bereitschaft zu stärkerem internationalen
Engagement umso größer ist, je jünger die Befragten sind”, dass also die
nachwachsenden Generationen eher zu einer aggressiven Außenpolitik tendieren
könnten.
Argumentationsstrategien
Ansonsten
appelliert die Stiftung, “eindrücklicher” zu vermitteln, “dass Deutschlands
Wohlstand und Sicherheit mehr als je zuvor von internationalen Entwicklungen
abhängen und die Verfolgung deutscher Interessen unserem Land nützt”. Auch
solle betont werden, dass “Ziele wie der ‘Schutz der Menschenrechte’ und die
‘Sicherung des Friedens’ … nicht umsonst zu haben” seien, jedenfalls nicht
“durch Zurückhaltung in der Außenpolitik”.[6]
Rhetorische
Versuche
Gaucks
aktuelle Argumentationslinie trägt dem Rechnung. Wie der Bundespräsident
erklärt, wolle er lediglich “einer aktiven Teilnahme” an “Konfliktlösungen im
größeren Rahmen” das Wort reden. Deutschland “steht an der Seite der
Unterdrückten”, behauptet Gauck: “Es kämpft für die Menschenrechte.” Dafür aber
sei es “manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen” – und “als
letztes Mittel auch …, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu
verwerfen”.[7] Zwar kann keine Rede davon sein, dass die Bundesrepublik, die in
den vergangenen Jahren bis zu 7.000 Soldaten in zehn Ländern auf drei
Kontinenten stationiert hatte, Militäreinsätze “von vornherein … verwerfen”
würde. Gaucks Gedankenwendung aber folgt einer rhetorischen Strategie, wie sie
etwa die Körber-Stiftung vorschlägt. Allerdings bleibt der Erfolg offenbar
weiterhin aus.
Den
Widerstand aufweichen
Dies
zeigen beispielsweise Äußerungen aus kirchlichen Kreisen. So wird etwa der
Studienleiter der Evangelischen Akademie Villigst
(Schwerte/Nordrhein-Westfalen), Uwe Trittmann, mit der Äußerung zitiert, er
halte Gaucks Äußerungen für “wenig glücklich”; er wünsche sich stattdessen eher
ein Plädoyer für präventive, zivile Mittel der Konfliktlösung. Hartmut Linne
vom Paderborner Büro der katholischen Friedensorganisation “pax christi” wirft
dem Bundespräsidenten offen vor, nur den “Widerstand der Bevölkerung” gegen
militärische Interventionen aufweichen zu wollen.[8] Linnes Organisation hat
sich schon im März dem “Offenen Brief” einer ökumenischen Friedensgruppe aus
Dortmund (“Christinnen und Christen für den Frieden”) angeschlossen, in dem
Gaucks Forderung nach mehr Militäreinsätzen scharfer Kritik unterzogen wird.[9]
Auch nach Gaucks jüngster Rede hält der Unmut an.
Entsprechend
bemühen sich Berliner Spitzenpolitiker, die Kritiker einzubinden.
“Militäreinsätze” sollten in der Tat “das allerletzte Mittel bleiben”, äußert
der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag, Anton Hofreiter:
Dennoch unterstütze er Gaucks Forderung, denn “Deutschland ist keine Insel in
der Welt”.[10] Die Kritik an Gauck basiere nur auf einem “Missverständnis”,
behauptet SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi: Sie könne nicht erkennen, “dass
ein pauschales stärkeres militärisches Engagement gefordert worden” sei.[11]
Verteidigungsministerin von der Leyen schiebt die Debatte jetzt mit der
Forderung nach neuen “Friedensmissionen” im Namen der UNO an; als
“Friedenseinsatz” ist in den vergangenen Jahrzehnten so ziemlich jeder Krieg
mit deutscher Beteiligung bezeichnet worden.[12] Worum es den deutschen Eliten
wirklich geht, das zeigt die Debatte im außenpolitischen Establishment, wie sie
sich etwa in dem erwähnten Berliner Strategiepapier vom Herbst 2013 zeigt
(“Neue Macht – Neue Verantwortung”). Die Autoren waren sich bezüglich
Militäreinsätzen nur in einem Punkt nicht einig: Ob Kriege in Zukunft – wie bisher
– der Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat bedürften, oder ob bei
kommenden Militärinterventionen darauf zu verzichten sei.[13]
Weitere
Informationen und Hintergründe zur Weltpolitik-Kampagne der deutschen Eliten
finden Sie hier: Schlafende Dämonen, Die Neuvermessung der deutschen
Weltpolitik, Die Dominanz über Europa und Auf Augenhöhe mit den USA, Bereit zur
globalen Ordnungspolitik, Die Agenda 2020, Die Erwartungen der Welt,
Deutschlands Befreiungsschlag, Der Weltordnungsrahmen und Hegemon mit Schuldkomplex.
_____
[1]
“Deutschland steht an der Seite der Unterdrückten”.
www.deutschlandradiokultur.de 14.06.2014.
[2]
Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United
States (GMF), Oktober 2013. S. dazu Die Neuvermessung der deutschen
Weltpolitik.
[3] S.
dazu Deutschlands Befreiungsschlag.
[4]
Vgl. unter anderem: Marcus Klöckner, Paul Schreyer: Chaos bei Zeit Online: Mal
gilt der Ethik-Kodex, mal gilt er nicht. Telepolis 20.03.2014.
[5] S.
dazu Elitejournalisten und Rezension: Uwe Krüger: Meinungsmacht.
[6]
Einmischen oder zurückhalten? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von TNS
Infratest Politikforschung zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik.
www.koerber-stiftung.de.
[7]
“Deutschland steht an der Seite der Unterdrückten”.
www.deutschlandradiokultur.de 14.06.2014.
[8]
Kirchenvertreter üben Kritik an Bundespräsident Gauck. www.derwesten.de
16.06.2014.
[9]
Offener Brief der Christinnen und Christen für den Frieden.
www.paderborn.paxchristi.de 08.03.2014.
[10]
Hofreiter unterstützt Gaucks Forderung nach aktiverer Außenpolitik. www.zeit.de
16.06.2014.
[11]
SPD-Spitze verteidigt Gauck-Aussagen. www.bild.de 16.06.2014.
[12]
Mehr Bundeswehr bei UN-Einsätzen? www.tagesschau.de 18.06.2014.
[13] Neue Macht – Neue
Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine
Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des
German Marshall Fund of the United States (GMF), Oktober 2013. S. dazu Die
Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
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