Foto: russia today Kiew, 25. Januar 2014 (Reuters/Valentyn Ogirenko) |
Hierzulande verschweigen Politiker und Medien, dass es vor allem Faschisten sind, die in Kiew randalieren
Von Hans Berger
Die taz-Kommentatorin Barbara Oertel ist aufgebracht. Viktor Janukowitsch, Präsident der Ukraine, lässt die „Versammlungs- und Meinungsfreiheit drastisch einschränken“, schreibt sie. Damit beweise er ein weiteres Mal, dass es mit ihm nicht „vorwärts“ gehe, sondern „zurück in die sowjetische Vergangenheit“. „Vorwärts“, das ist natürlich „nach Europa“, und da wollen die hin, die am Wochenende ein weiteres Mal Massendemonstrationen und Straßenschlachten in Teilen der Ukraine veranstaltet haben. Oertel bewundert, dass sie sich nicht einschüchtern lassen und den zentralen Kiewer Maidan-Platz nicht kampflos aufgeben wollen. Sie sind die Guten, denen gegenüber ein blutrünstiger Despot steht, der, das fürchtet Oertel, bis „zum Äußersten“ gehen könnte. (1) Eines allerdings passt nicht in ihr manichäisches Weltbild: Insbesondere „der harte Kern“, von dem die Außenpolitikchefin des ehemalig linken Blattes so anerkennend schreibt, sind vor allem Neonazis, Antisemiten und Nationalisten.
In einer Gruppe vermummter und bewaffneter junger Männer, die gerade eine Polizeiabsperrung angreifen, trägt einer ein Schild, das ein Keltenkreuz und die Zahl „14 88“ ziert – ein in rechtsextremen Kreisen weithin bekannter Code. Die „14“ steht für die „14 words“, einen Satz eines US-amerikanischen Neonazis („Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft für die weißen Kinder sichern“), die „88“ bedeutet „Heil Hitler“. Dass Barbara Oertel das nicht weiß, ist zumindest merkwürdig.
Um „Einzelfälle“ handelt es sich dabei nicht. Neonazistische, rechtsextreme und ultranationalistische Gruppen haben die Gunst der Stunde erkannt und nehmen mittlerweile eine Art Avantgarde-Rolle bei den Demonstrationen in der Ukraine ein. Gerade die militanten Formationen, die sich Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern, gehören überwiegend diesem Spektrum an. Wer nicht blind ist oder absichtlich wegsieht, kann nicht leugnen, dass ein großer Teil der Bewegung gegen den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und die prorussische Regierung in Kiew von gewaltbereiten Faschisten gesteuert wird, die sich in einem militärisch auszutragenden Endkampf um ihr Vaterland wähnen.
Das allerdings passt nicht in die westliche Berichterstattung. Hier muss es klare Kanten geben. Der Bösewicht Janukowitsch, verbündet mit dem Superschurken aus dem Kreml, auf der einen Seite, die lupenreinen Demokraten auf der anderen.
Doppelte Standards
Foto: russia today Kiew, 23. Januar 2014 (Reuters/Valentyn Ogirenko) |
Am Rande eines Treffens in Brüssel verurteilten die Außenminister mehrerer Staaten der Europäischen Union die Gewalt in Kiew. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Kathleen Hayden, droht mit Sanktionen. Schuld an der Eskalation trage Janukowitsch. „Ich denke, was passiert ist, ist eine Konsequenz des repressiven Gesetzespakets“, erklärte auch der schwedische Außenminister Carl Bildt mit Bezug auf die Ende vergangener Woche in Kiew verabschiedeten Gesetzesänderungen.
Diese wurden von allen westlichen Regierungen scharf kritisiert. Er fürchte eine Rückkehr in die „autoritäre Sowjet-Vergangenheit“, so EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.
Regierungssprecher Steffen Seibert wertete die Verschärfungen des Demonstrationsrechts als eine „Abkehr von europäischen Werten“ und Außenminister Walter Steinmeier gab zu Protokoll: „Repression darf keine Antwort auf eine politisch kontroverse Debatte sein.“
Sieht man sich das beschlossene Gesetzespaket allerdings genauer an, fragt man sich, woran sich die EU- und US-Politiker eigentlich stoßen. Es liest sich weniger wie eine „Abkehr“, denn wie eine Angleichung an EU- und US-Recht, wenngleich selbstverständlich der Autoritarismus und repressive Charakter etwa des Patriot-Acts noch bei weitem nicht erreicht werden.
„Ukraine: Regierungsgegner werden in die Illegalität getrieben“, heißt es in der FAZ. „Der Bau von Barrikaden, Bühnen und Zelten wird von behördlichen Genehmigungen abhängig gemacht. Wer einen Helm trägt, um sich gegen Polizeiknüppel zu schützen, macht sich strafbar. Blockaden vor öffentlichen Gebäuden oder Privatwohnungen (etwa dem Privatpalast Janukowitschs, der zuletzt regelmäßig belagert wurde) werden mit Gefängnis bedroht“, listet Konrad Schuller die Grausamkeiten der Gesetzesnovelle auf. (4)
Aber: Ist irgendetwas davon in Deutschland „legal“? Hat Herr Schuller schon mal versucht, eine Barrikade ohne „behördliche Genehmigung“ vor dem Bundestag zu bauen, dabei Knüppel und Helm getragen und gedroht selbigen zu stürmen? Wohl kaum.
Dennoch weiß er, dass sich mit diesen Änderungen die Ukraine zu einem „autoritären Staat entwickelt“. D´ accord, aber was sagt uns das denn über den deutschen Staat, der sich im zu gewinnenden Osten zum Verteidiger des Demonstrationsrechts aufbläht, während man in Frankfurt und Stuttgart völlig friedliche Kundgebungen mit Pfefferspray und Knüppeln niedermacht. Wer hier auf einer Demonstration den Schal über die Nase zieht, wird wegen Vermummung festgenommen. Wie immer scheint zu gelten: Quod licet iovi, non licet bovi.
Die doppelten Standards sind so offenkundig, dass man sich fragt, ob diejenigen, die da jetzt ihre Empörung zur Schau stellen, den Blödsinn, den sie verzapfen, selber glauben, oder nur alle anderen für dumm genug halten, ihn zu glauben.
Neue Offenheit
Schon im syrischen Bürgerkrieg kündigte sich an, dass EU und USA immer offener mit Kräften kooperieren, die nicht einmal mehr den Schein wahren, an irgendeinem fortschrittlichen Projekt interessiert zu sein. Wenn es um die geostrategischen Interessen des Westens geht, finden sich schon mal dschihadistische Halsabschneider auf der selben Seite der Barrikade wie die Guantanamo-Demokraten.
Im Fall der Ukraine scheint die Devise zu sein, jeden zu unterstützen, der russischen Interessen und dem amtierenden Präsidenten schaden will – ob Neonazi oder nicht, ist egal. Schon Mitte Dezember machte der EU-Botschafter in Kiew, Jan Tombinski, klar, man halte die rechtsextreme Partei Swoboda für einen gleichwertigen Partner halte und Gespräche mit ihr führe. (5) US-Senator John McCain sprach neben Swoboda-Chef Oleh Tjahnybok auf einer Bühne zu den Anhängern (6).
Swoboda, die Kontakte zur NPD pflegt und deren Programm eine Mischung aus Blut-und-Boden-Rhetorik und Antikommunismus enthält, spricht sich für eine Annäherung an die EU aus und ist pro-amerikanisch, solange es gegen Russland geht. Deshalb stört es in Brüssel, Berlin und Washington auch kaum, dass die ultranationalistische Partei Gedenkmärsche für den antisemitischen Mörder und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera veranstaltet (7), Waffen-SS-Divisionen ehrt und ihr Vorsitzender zum Kampf gegen die „russisch-jüdische Mafia“ aufruft. Zusammen mit Witalij Klitschkos Udar und der Allukrainischen Vereinigunng Vaterland der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko wird Swoboda im Westen als legitimer Teil der „demokratischen“ Opposition angesehen. Swoboda bildet zudem das Verbindungsglied zu einer Reihe kleinerer, noch radikalerer Neonazi-Gruppierungen wie etwa der paramilitärisch organisierten UNA-UNSO. Zusammen stellen die Faschisten einen Großteil der Schlägertrupps, die sich Auseinandersetzungen mit den Polizeitruppen der ukrainischen Regierung liefern.
Zwar bemühen sich die meisten westlichen Politiker nach den schweren Riots der vergangenen Tage, Gewalt im Allgemeinen zu verurteilen, das Schema bleibt aber dasselbe: Der ukrainische Präsident habe die Gewalt provoziert, die Demonstranten hätten keine andere Wahl, sich Gehör zu verschaffen.
„Radikal prowestlich“
Dennoch hat man in der EU wohl nicht mit einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse, wie sie derzeit zu beobachten ist, gerechnet. Zum einen ist es nicht gelungen Witalij Klitschkos Udar zur führenden Kraft der Proteste zu machen. Udar ist die am stärksten von Deutschland abhängige Kraft im Land und wird ausgiebig von Institutionen aus Berlin, etwa der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung gefördert.
Klitschko selbst gibt mittlerweile zu bedenken, dass Teile der Bewegung „nicht mehr unter Kontrolle“ seien und spricht offen von der Möglichkeit eines Bürgerkriegs. Jedenfalls sind die militanten faschistischen Kräfte, auch Dank der Intervention europäischer Institutionen, gestärkt aus den Protesten hervorgegangen. Im Gespräch mit German Foreign Policy stellt der Politikwissenschaftler Andreas Umland fest, dass gegenwärtig die Slogans und Symbole der extremen Rechten auf Demonstrationen äußerst präsent sind. Einige „Leitmotive“ der Bandera-Verehrer seien heute „charakteristisch für die gesamte Protestbewegung“. „An der Aufwertung der Partei sind nicht zuletzt deutsche Diplomaten beteiligt gewesen – im Rahmen gemeinsamer Agitation gegen die aktuelle ukrainische Regierung“, kommentiert German Foreign Policy. (8)
Das alles stört den deutschen Durchschnittsjournalisten allerdings nicht. Noch immer ist in den großen Medien kein Wort von der Dominanz neonazistischer Gruppen zu lesen. Von Focus (9) bis Tagesschau (10) lautet die Sprachregelung für mit Eisenstangen und Molotows bewaffnete Typen mit Heil-Hitler-Schild: „radikal prowestliche Demonstranten“. Und irgendwie stimmt das ja auch.
Anmerkungen
(1) http://www.taz.de/Kommentar-Repression-in-der-Ukraine/!131287/
(2) http://derstandard.at/1389857559560/Mehr-als-siebzig-Verletzte-bei-Ausschreitungen-in-Kiew(3) http://www.rte.ie/news/2014/0120/499056-ukraine-violence/
(4) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-regierungsgegner-werden-in-die-illegalitaet-getrieben-12759235.html
(5) http://www.epochtimes.de/EU-Botschafter-in-der-Ukraine-Rechtsextreme-Partei-Swoboda-ist-gleichwertiger-Gespraechspartner-a1117406.html
(6) http://www.globalresearch.ca/us-sponsored-democracy-a-tale-of-two-protests-ukraine-and-thailand/5362363
(7) http://www.timesofisrael.com/thousands-march-to-honor-nazi-collaborator-in-kiev/
(8) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58768
(9) http://www.focus.de/politik/ausland/eine-situation-wie-im-krieg-drohender-buergerkrieg-vitali-klitschko-warnt-vor-toten-in-der-ukraine-5_id_3556881.html
(10) http://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-janukowitsch114.html
Quelle: hintergrund.de, 21. Januar 2014
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