Sonntag, 4. August 2019

Profis am Werk


Parteien lenken die Klimadebatte weg von den Verursachern

Die Parteien des Bundestags sind unter Druck. Die Schüler hören nicht auf zu demonstrieren und an vielen Orten schließen sich Eltern und Großeltern den Protesten an. Die Parteien fühlen sich gezwungen zu reagieren. Doch bei den Hauptverantwortlichen des hohen CO2-Ausstoßes anzupacken, kommt nicht in Frage. Denn es sind die Energiewirtschaft und die Automobilindustrie, deren Profite geschmälert würden. Die Debatte wird umgelenkt: Statt wirksamer Maßnahmen gegen den Klimawandel wird eine Verbrauchssteuer diskutiert. Mit großem Getöse wird sie von der Berliner Politik auch noch mit Parolen verkauft, wie: „Wir haben verstanden und tun etwas.“

Im ZDF erklärte der FDP-Mann Lindner: „Klimaschutz ist etwas für Profis.“ Man müsse doch auf die individuelle Mobilität der Menschen achten. „Wir glauben nicht zu wissen, was die bestehende technische Antwort auf Zukunftsherausforderungen sind. (…) aber wir müssen wegkommen von den planwirtschaftlichen Einzelgängen (…) CO2 muss einen marktwirtschaftlichen Preis bekommen. (…) Jeder, der einen Anteil haben möchte am Fliegen, Verbrennungsmotor, für Energie oder Fleisch, der muss sich seinen Anteil kaufen.“ Der Preis sollte sich am Markt bilden. Es dürfe keine Verzichtsgesellschaft geben. Das müsse man alles technisch lösen.

Der Grüne Habeck will nichts anderes. „Die fossilen Energien müssen teurer werden. Es wird nicht ohne CO2-Steuer gehen.“ Auf die Frage, ob dann nicht nur die Armen bezahlen, weil die Reichen es sich doch leisten können, antwortet er: „Was wir vorhaben ist ein marktwirtschaftliches Instrument.“ Allerdings soll es aber Entlastungen für die Bürger geben. Angesprochen auf konkrete Maßnahmen, spricht sich Habeck für eine Besteuerung des Flugbenzins aus und will damit die Bahntickets durch eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf 7 Prozent verbilligen. Außerdem solle es mehr Züge geben und bessere Fahrpläne. Das hört sich gut an, aber die Kerosinsteuer würde einen Flug von Stuttgart nach Berlin um zirka  10 Prozent – also je nach Uhrzeit um vier bis zehn Euro – verteuern. Diejenigen, die eh aufs Fliegen setzen, wird das wohl kaum abhalten.

Auch die SPD setzt auf eine CO2-Bepreisung mit nachgeschalteter „Klimaprämie“. Ziel sei es, Menschen mit einem niedrigen CO2-Verbrauch und insbesondere Geringverdiener zu entlasten, sagte die kommissarische Parteichefin Malu Dreyer der „Rheinischen Post“. „Benzin und Heizöl werden teurer, dafür wird im Gegenzug pro Kopf eine Klimaprämie ausgezahlt.“ Wer wenig CO2 verbrauche, werde „kräftig profitieren“, sagte Dreyer. Dies betreffe insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen, „weil sie typischerweise weniger CO2 verbrauchen“. Eine bestechende und zutreffende Logik: Menschen die kein Geld haben, können sich weniger leisten und tragen deshalb in der Regel auch weniger zum CO2-Ausstoß bei. Nur trifft eine Steigerung der Energiepreise Menschen mit geringen Einkommen besonders hart, CO2 können sie kaum einsparen.

Die CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hatte bereits zuvor im Deutschlandradio gesagte, ihre Partei wolle nicht „vorschnell zu einem scheinbar einfachen Mittel greifen“. Unbestritten sei, dass die Politik den CO2-Ausstoß über die Bepreisung reduzieren müsse. „Die Frage ist nur, was ist das beste System der Bepreisung?“ Der Emissionshandel und die Vergabe von Zertifikaten könnten „deutlich mehr Hebelwirkung“ erzielen als eine CO2-Steuer.

Auch Teile der Linken fordern die CO2-Steuer. „Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass CO2-Ausstoß endlich ein Preisschild bekommt“, drängte der Linken-Klimaexperte Lorenz Gösta Beutin in Berlin zum Handeln. Er warnte zugleich vor einem zu niedrigen CO2-Preis als „Wahlkampf-Klimaschutz-Kosmetik“.

Den höchsten CO2-Ausstoß verursacht die Energiewirtschaft (42 Prozent). Der Verkehr liegt bei 24 Prozent, Industrie 14 Prozent und die Gebäudewirtschaft bei 8 Prozent. Die Energiewirtschaft muss gezwungen werden, ihren CO2-Anteil zu reduzieren, zum Beispiel durch alternative Energien und verbesserte Technik. Die Subventionen für Industrien mit hohem Energieverbrauch (Stahl, Aluminium, Chemie) sind zu streichen, um sie zu zwingen, weniger Energie zu verpulvern. Im Verkehr muss es darum gehen, dass eine echte Verkehrswende stattfindet. Weg von der profitträchtigen Autoindustrie – hin zu öffentlichen Verkehrssystemen, weg von den privaten Betreibern.

Von Stefan Kühner


Klimaproteste, Foto: junge Welt
Kapitalistische Zauberformel
Stefan Kühner über „CO2-Bepreisung“

Angebot und Nachfrage – das ist die Zauberformel, die die Meinungsführer der herrschenden Parteien und ihre Vordenker in der Politikberatung nahezu besoffen zu machen scheint. Wir wollen die klimaschädigenden Emissionen reduzieren? Also machen wir einfach alles, was CO2 ausstößt, teurer. Die Emissionen verringern sich – „Hokuspokus“ – wie von selbst. Bei den Befürwortern der „Bepreisung“ von CO2 hat bislang keiner einen Nachweis vorgelegt, dass dies funktioniert. Und keines der Mainstream-Medien hat bislang die Befürworter darauf festgenagelt, solch einen Nachweis zu führen. Selbst wenn es eine Wirkung durch die Preisverteuerung von CO2 geben sollte, wie groß ist sie denn?

Die im Bundestag vertretene Politik sieht sich im Schulterschluss mit Wirtschaft und Wissenschaft. Als Wissenschaft gilt das Potsdamer Institut für Klimaforschung, eine große Forschungseinrichtung der Regierung. Bundeskanzlerin Merkel hatte sich Mitte Juni dort Rat der Forscher eingeholt: „(E)s war ein wirklicher Informationsbesuch der Kanzlerin in unserem Institut. Sie hat wichtige Fragen gestellt, es war ein intensives Gespräch.“ Thema war auch die „CO2-Bepreisung“, kann man auf der Homepage des Instituts lesen.

Die Wirtschaft argumentiert „wissenschaftlich“, mit ihren sogenannten „Wirtschaftsweisen“. Rechtzeitig zur Klimaschutzdebatte des Bundeskabinetts übergaben sie ein Gutachten. Dort plädierten sie dafür, „dass CO2-Emissionen über alle Sektoren, d. h. nicht nur Strom, sondern zusätzlich nun auch (Heiz-)Wärme und Treibstoffe einen Preis erhalten sollen. Ob dies technisch über eine Steuer oder einen Emissionshandel ausgestaltet wird, ist danach eher zweitrangig.“

Zweitrangig ist der Wirtschaft und der von ihnen gekaufte Politik nicht nur die Form, wie den Verbrauchern die Lasten aufgebürdet werden. Zweitrangig ist das gesamte Thema, denn erstrangig ist der Profit. „Der BDI will eine Energie- und Klimapolitik aus einem Guss, mit möglichst viel Markt und klaren, verlässlichen Rahmenbedingungen anstatt immer mehr staatlicher Regulierung.“ Das vom Kapital erfundene und tausendfach erzählte Märchen von Angebot und Nachfrage wird hier in der Variante erzählt: Wenn der Konsument für den CO2-Anteil mehr bezahlen muss, dann wird dieser nicht mehr nachgefragt. Dass dies klappt ist zu bezweifeln.

Wo kann eine normale Familie im der Mietwohnung Heizkosten „einsparen“? Um wie viele Grillwürste soll diese Familie den Fleischkonsum senken, um eine spätere Prämie zu erhalten? Auf wie viele Flugreisen kann die alleinerziehende Mutter mit zwei Kinder denn verzichten, wenn sie sich ohnedies keinen Urlaub leisten kann? Die CO2-Steuer wird den ärmsten Teil der Bevölkerung am härtesten treffen.
Wenn von „Rückzahlung“ die Rede ist, dann wird auf eine positive Binnennachfrage hingewiesen zum Beispiel ein „zweites Weihnachtsgeld“. Sind die dann gekauften Geschenke etwa CO2-neutral? Und glaubt auch nur ein vernünftig denkender Mensch, dass jemand, dem im Januar gerade kalt ist, den Thermostat herunterregelt, um später ein paar Euro zurückzubekommen?

Manch ein Bürger oder eine Bürgerin wird sich vielleicht sogar entscheiden, ein E-Auto zu kaufen. Wie sieht aber die Gesamt-CO2-Bilanz aus? Die Herstellung des E-Autos mit der CO2-intensiven Herstellung der Batterie frisst die CO2-Einsparung wieder weg. Die Automobilindustrie wird das nicht jucken. Es ist wieder ein Auto verkauft und Profit gemacht.

Die SUV-Mode, der riesige Fleischverbrauch und die Vielfliegerei sind Beispiele für Verschwendung, aber eine Reduzierung an dieser Stelle wird das Problem noch nicht lösen. Produktionsweisen müssen auf Kosten der Profite geändert werden. Zusätzlich muss auch der Verbrauch an anderen Umwelteinträgen reduziert werden, zu denen Feinstaub, Stickstoffoxide (NOx), Industrie- und Landwirtschaftsabwässern gehören. Nur dann können sich die Natur und der Mensch wieder ein bisschen erholen.

Beide Artikel aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 2. August 2019

Keine Kommentare: