Am 3. April 1969 erschien die erste reguläre
Ausgabe der UZ. Der damalige DKP-Vorsitzende und UZ-Herausgeber Kurt Bachmann
(1909 – 1997) stellte fest: „Es fehlt eine sozialistische Wochenzeitung.
‚Unsere Zeit‘ möchte diese Lücke schließen.“ Die neue Zeitung wollte „ein Stück
demokratischer Mitgestaltung praktizieren, dergestalt, dass die Kräfte der
Arbeiterbewegung, all jene, die für eine demokratische Erneuerung in Staat und
Politik eintreten, ihre Meinung über Theorie, Politik und Aktionen darlegen
können“.
Anlässlich
des Jubiläums sprach die aktuelle ZU-Redaktion mit Georg Polikeit darüber, was
eine kommunistische Zeitung ausmacht und welche Probleme im Alltag entstehen,
wenn man diesen Anspruch verfolgt. Wir dokumentieren dieses Gespräch an dieser
Stelle.
Polikeit
war von 1973 bis 1989 Chefredakteur der UZ, als sie als Tageszeitung erschien.
Georg
Polikeit: Sie muss natürlich von der kommunistischen Theorie und Weltanschauung
geprägt sein. Aber zugleich will ich betonen: Eine kommunistische Zeitung muss
immer nach Wirkung über die Reihen der Partei hinaus streben, sonst ist sie
eigentlich nur ein internes Mitteilungsblatt. Wir waren vor 50 Jahren davon
überzeugt, dass die neu konstituierte DKP eine eigene Zeitung braucht. Deshalb
haben wir die Wochenzeitung im Frühjahr 1969 geschaffen. Am 15. März wurde die
Nullnummer vorgelegt, am 3. April ging die Nummer 1 an die Empfänger.
1973 gab
es dann die Meinung, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen für den Übergang zur
Tageszeitung. Und dann haben wir immerhin 16 Jahre lang die UZ als Tageszeitung
herausgegeben.
Immer
waren wir der Meinung, dass es eine Zeitung sein muss, die auch die
Alltagsinteressen, die täglichen Interessen der Arbeiterklasse vertritt. Das
muss der eigentliche Kern der Zeitung sein, neben der „großen Politik“ und dem
sozialistischen Ziel. Sie sollte im Stil, im Inhalt, in der Themenwahl so
abgefasst sein, dass nicht nur die Eingeweihten damit zurechtkommen. Man hat
sich im Laufe der Jahre ja eine Sprache angewöhnt, die doch sehr intern sein
kann. Das ist eine der wichtigsten Fragen, die sich die Redaktion einer
kommunistischen Zeitung immer wieder stellen muss: Sind wir in der Lage, eine
Zeitung in einer Sprache zu machen, die die Leute verstehen? Greifen wir die
Themen auf und sprechen wir die Sprache, in der in der normalen Arbeiterfamilie
am Abendbrottisch diskutiert wird?
UZ:
Kannst du ein Beispiel nennen, wie ihr das damals gemacht habt, also die
kleinen Alltagsgeschichten groß und verständlich zu machen?
Georg
Polikeit: Als Tageszeitung waren wir zwangsläufig anders aufgestellt als eine
Wochenzeitung. Weil du jeden Tag eine Zeitung rausbringst, musst du versuchen,
so aktuell wie möglich zu sein und auch das zu behandeln, was die anderen
Zeitungen bringen.
Wir haben
versucht, die realen sozialen Auseinandersetzungen aufzugreifen und aktuelle
Informationen dazu zu liefern. Ganz wichtig ist nämlich, Informationen zu
liefern, nicht nur Standpunkt, nicht nur Meinung, nicht nur Kommentar, sondern
erst mal die Leute zu informieren. Denn sie werden von der bürgerlichen Presse
in vielen Punkten falsch informiert und deswegen muss unsere Information eben
ein Gegenprogramm zur bürgerlichen Meinungsmanipulation sein. Das ist eine der wichtigsten
Aufgaben.
Unmittelbar
nach der Gründung der Tageszeitung gab es in der damaligen BRD eine Belebung
der gewerkschaftlichen Arbeiterkämpfe – Stahlarbeiter, Bergarbeiter. Das haben
wir nicht nur jeden Tag drin gehabt, sondern wir haben auch versucht,
hinzugehen zu den Leuten, sie zu fragen, ihre Meinung wiederzugeben, auch die
der nichtkommunistischen Gewerkschafter. Später, als monatelang gegen die
Schließung des Stahlwerks Rheinhausen gekämpft wurde, waren wir auch dort vor
Ort, haben Reportagen gemacht.
Oder auch
über die Mieterbewegungen, überhaupt soziale Bewegungen im breitesten Maße,
neben den großen Themen der Friedensbewegung, wo wir natürlich auch drin waren.
Damals stand noch die große Frage des Verhältnisses von BRD und DDR und
überhaupt der Entspannung zwischen Ost und West. 1969 war ja die
Bundestagswahl, als die SPD zusammen mit der damaligen FDP dran kam und Willy
Brandt Regierungschef wurde. Dann kamen die Auseinandersetzungen um die
Ostverträge und um die Entspannungspolitik überhaupt, das war ein zentrales
Thema in der Zeitung.
UZ: Das
Problem haben wir heute immer noch, dass gesagt wird, wir verlangen den
UZ-Leserinnen und Lesern ganz schön viel ab, weil viel vorausgesetzt wird. Ihr
hattet gerade mit der Tageszeitung die Orientierung, sie für den einfachen
Arbeiter lesbar zu machen. Wart ihr dabei erfolgreich? Es ist eine schwierige
Aufgabe, einerseits Parteizeitung zu sein, aber andererseits den Leuten was an
die Hand zu geben, bei dem sie sagen, das entspricht meiner Realität, meiner
Erfahrung.
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1973: Die 1. UZ erscheint als Tageszeitung. (Foto: UZ-Archiv) |
Georg
Polikeit: Natürlich haben wir das nicht generell und durchgängig geschafft.
Aber in einzelnen Fällen würde ich schon sagen, ist die UZ von Leuten vor Ort
als die Zeitung anerkannt worden, die über ihre Probleme richtig informiert, während
die bürgerlichen Zeitungen meistens die Unternehmerstandpunkte vertreten. Das
war immer eine Frage der Auseinandersetzung, manchmal auch der
Auseinandersetzung in der Redaktion. Punktuell ist es uns gelungen, auf
Zustimmung zu stoßen, wie in der Auseinandersetzung um den Stahlstandort
Rheinhausen. Zustimmung bedeutet aber nicht, dass die Leute die Zeitung dann
abonniert haben. „Ja, die Zeitung ist gut“ ist nicht gleichbedeutend mit „Ja,
die Zeitung will ich jeden Tag oder jede Woche lesen“.
UZ: Aber ihr
habt sie verkauft, oder habt ihr sie zum Beispiel in Rheinhausen verteilt?
Georg
Polikeit: In Rheinhausen haben wir sie unter den Streikenden auch verteilt. In
der Regel haben wir sie verkauft. Wir hatten dieses etwas merkwürdige System,
dass wir eine Kombination von Tages- und Wochenzeitung versucht haben. Die
Tageszeitung seit Oktober 1973 war vorwiegend für Abonnenten. Die
Freitagsausgabe der Tageszeitung war für den Freiverkauf um acht Seiten
erweitert und wurde auch an Wochenzeitungsabonnenten verschickt.
UZ: Wurde
die Wochenzeitung ebenfalls von der Tageszeitungsredaktion erstellt?
Georg
Polikeit: Da gab es zeitweise eine gesonderte Redaktion. Da gab es eine
richtige Wochenzeitung, die hatte eine Wochenendbeilage, eben diese acht
Seiten, mit einem Fernsehprogramm und ähnlichen Dienstleistungen, also nicht
nur Politisches, sondern auch Sozialberatung, Unterhaltendes, Kinderseite und
so was bis zum Kochrezept. Die eigene Redaktion für die Wochenzeitung war aber
nicht durchzuhalten und das wurde später dahingehend geändert, dass die
Freitagsausgabe der Tageszeitung in vergrößertem Umfang herausgegeben wurde.
Und dann wurde sie auch als Wochenzeitungsabo verschickt und für den
Freiverkauf geliefert. Die Partei wurde aufgefordert, den Freiverkauf zu
organisieren, wenigstens einmal im Monat, aber möglichst jede Woche, und
einzelne Freiverkäufer gab es auch, die bis zu 20 Zeitungen und mehr genommen
und jede Woche verkauft haben,
UZ: Wenn
man Mitglied der DKP war, hat man dann automatisch die UZ gekriegt?
Georg
Polikeit: Nein, das Abo lief extra. Zunächst zeichnete der Parteivorsitzende
Kurt Bachmann für die anfängliche Wochenzeitung als Herausgeber. „Zeitung der
DKP“ kam erst später, wir waren da vorsichtig. Wir hatten gerade die Partei
erst neu konstituiert und wussten nicht, wie lange es uns gelingen wird, ihre
Legalität aufrecht zu erhalten. Denn das KPD-Verbot blieb ja bestehen und
konnte immer angewendet werden von den reaktionärsten Kräften in der
Bundesregierung oder in der Großen Koalition. Als die Wochenzeitung erstmals
erschien, regierte noch die Große Koalition unter Kiesinger. Da gab es
beispielsweise Paul Lücke, CDU-Innenminister, den wir für durchaus borniert
genug hielten, das KPD-Verbot in Anwendung zu bringen.
UZ: Gerd
Deumlich war der erste Chefredakteur und hat in der Null-Nummer sinngemäß
geschrieben: Wir arbeiten daran, dass Sie irgendwann mal sagen, diese Zeitung
ist meine Zeitung. Wie habt ihr diese Bindung an den Leser, an Parteimitglieder
hinbekommen? Das versuchen wir heute auch – klappt mal, klappt mal nicht so
gut.
Georg
Polikeit: Wir haben Wert darauf gelegt, dass in der Zeitung nicht nur die
Redakteure, sondern eben auch die Leute zu Wort kommen, die draußen in den
Bewegungen oder auch kommunal eine Rolle spielten, dass die auch interviewt
wurden oder Beiträge schrieben, die namentlich gekennzeichnet waren.
Aber unsere
Inhalte waren natürlich auch eng verbunden mit der damaligen weltweiten
Auseinandersetzung Kapitalismus/Sozialismus. Damals gab es noch die
sozialistische Staatengemeinschaft in Europa mit der Sowjetunion als Zentrum.
Und die kommunistische Weltbewegung hatte in verschiedenen Beratungen
eingeschätzt, dass der Sozialismus unumkehrbar sei – was sich leider als Irrtum
erwiesen hat. Es war die feste Meinung, dass nicht nur der bestehende
Sozialismus unumkehrbar ist, sondern es gebe auch den Trend zur sozialistischen
Weltrevolution. Und in diesem Sinne haben wir gesagt, diese Zeit ist unsere
Zeit, denn es kommt die Zeit des Sozialismus in der Welt. Das war eine
Erklärung für den Titel der Zeitung. Aus heutiger Sicht war das ziemlich
abgehoben von den realen Verhältnissen, vor allem von den realen
Kräfteverhältnissen und Entwicklungstendenzen. Immer noch bin ich überzeugt,
dass der Sozialismus die Zukunft sein wird. Aber es ist sehr viel schwieriger,
ihn zu erreichen, als es damals schien.
UZ: Wie
seid ihr an gesellschaftliche Auseinandersetzungen wie in Rheinhausen oder bei
Hoesch herangegangen? Hattet ihr Genossen vor Ort, die gesagt haben, da ist der
Betriebsrat, ich kläre das mit ihm, dass er mit euch spricht, oder gab es die
Information, da ist ein Konflikt, wir haben da niemanden, wie gehen wir dann
vor? Das ist heute oft der Normalfall.
Georg
Polikeit: Wir hatten nicht nur Mitglieder vor Ort bei Rheinhausen und bei
Hoesch in Dortmund oder im Hagen-Haspener Stahlwerk und einer ganzen Reihe von
anderen größeren und kleineren Betrieben, sondern auch an Schulen und
Hochschulen. Da gab es DKP-Betriebsgruppen, die vor Ort waren, und es gab nicht
wenige kommunistische Betriebsräte. Von daher hatte man natürlich ein Netzwerk,
auf das man sich stützen konnte. Betriebe, in denen wir gar keinen Zugang
hatten, da konnten wir auch nicht viel machen.
UZ: Wie
seid ihr mit dem Antikommunismus in der Bundesrepublik und der
Berichterstattung über die sozialistischen Staaten umgegangen? Du sagtest, die
Entspannungspolitik war zu deiner Zeit ein großes Thema.
Georg
Polikeit: Die Sozialismuspropaganda war ein regelmäßiger Bestandteil unserer
Arbeit. Vielleicht nicht in jeder Ausgabe, aber doch in der Regel. Natürlich
mussten wir über die sozialistischen Staaten dem Antikommunismus
entgegengesetzt berichten. Die bürgerliche Presse machte täglich ihren
Antikommunismus anhand der Darstellung von DDR-Vorgängen oder sowjetischen oder
polnischen oder ungarischen. Wir hatten auf den außenpolitischen Seiten
regelmäßig Berichte über den „realen Sozialismus“. Wir hatten auch
UZ-Korrespondenten in Berlin/DDR und in Moskau.
UZ: Die
nur für die UZ da waren?
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UZ-Redaktionssitzung, am Kopfende Georg Polikeit (Foto: UZ-Archiv) |
Georg
Polikeit: Das waren von unserer Redaktion dorthin geschickte DKP-Genossen. Es
war die solidarische Hilfe der Bruderparteien, die das ermöglichte. Sie haben
den Aufenthalt bezahlt und auch die Kosten für den Unterhalt getragen, das
brauchten wir nicht aufzubringen. Das war sehr wertvoll, sie konnten vor Ort
recherchieren und dann die falschen Aussagen der bürgerlichen Medien richtigstellen.
Aber sie haben auch jeden zweiten, dritten Tag einen Korrespondentenbericht
geliefert, wie bürgerliche Korrespondenten auch, zu den aktuellen Entwicklungen
dort und zu den außenpolitischen und internationalen Initiativen und
Vorschlägen der sozialistischen Staaten für Entspannung und Friedenssicherung.
UZ: Wir
können heute ins Internet schauen und bekommen da schnelle Informationen und
haben zum Glück manchmal noch Autoren vor Ort. Wie habt ihr das damals gemacht?
Hattet ihr ein Netzwerk?
Georg
Polikeit: Wir hatten in der Hauptsache zwei Werkzeuge, die ihr heute nicht mehr
habt. Das war die sowjetische Nachrichtenagentur TASS, die hatte einen
deutschen Dienst, den es täglich gab, und ebenso die DDR-Nachrichtenagentur
ADN. Du konntest da die Nachrichten aus dem Ticker nehmen und nachgucken, was
die so bringen, und das war die Hauptquelle nicht nur für das, was in diesen
Ländern vor sich ging, sondern auch für andere außenpolitische Vorgänge aus
allen Teilen der Welt. Da konnten wir die außenpolitischen Seiten sehr stark
mit Hilfe dieser beiden Nachrichtenagenturen bewältigen. Wir haben versucht,
Kontakte zu Bruderparteien aufzubauen und die zu bitten, uns dieses oder jenes
zu schicken; das hat aber in aller Regel nicht so gut geklappt.
UZ: Wie
sehr habt ihr euch an der Einschätzung der Genossen vor Ort orientiert?
Georg
Polikeit: Wir waren der Meinung, dass wir in der Regel nicht besser wissen, was
in einem anderen Land passiert, als die dortige Partei. Deswegen haben wir
üblicherweise den Standpunkt der jeweiligen Partei oder der Regierung dieses
sozialistischen Staates übernommen oder über nationale Befreiungskämpfe und
progressive Aktivitäten in nicht-sozialistischen Staaten berichtet. Allerdings
mussten wir später die Erfahrung machen, dass es da auch Probleme geben kann.
Dass Bruderparteien ihre eigene Situation auch falsch eingeschätzt haben. Und
wir konnten natürlich auch nicht daran vorbei, dass es damals den Konflikt
KPdSU/KP China gab. Da haben wir weitgehend den sowjetischen Standpunkt
vertreten, was ja der Orientierung unserer Partei entsprach. Wir wollten nicht
die Maoisten fördern in der Bundesrepublik, die als Konkurrenz zur DKP
auftraten. Also, da gab‘s Schwierigkeiten. Auch später dann in der Endphase –
so 1987, 88 und 89 – gab es zunehmende Differenzen auch zwischen Moskau und
Berlin, und da war es dann manchmal schwierig, welche Darstellung oder welche
Position ist die, die wir übernehmen. Wir mussten dann zeitweilig versuchen,
beide wiederzugeben, oder manchmal haben wir diese Differenzen überhaupt nicht
behandelt, weil das einfach zu schwierig für die Leser verständlich
darzustellen war.
UZ: Bevor
du Chefredakteur der UZ wurdest, warst du Pressesprecher der Partei. War das
dein Wunsch oder bist zu sozusagen per Parteiauftrag versetzt worden?
Georg
Polikeit: Es war ein Parteiauftrag, aber mit meinem vollen Einverständnis.
Kommunist geworden bin ich schon 1946, als 16- oder 17-jähriger Schüler. Ich
habe dann auch bei einer kommunistischen Zeitung ab Ende 1948 das Gewerbe
erlernt.
UZ:
Welche Zeitung war das?
Georg
Polikeit: Das war in Offenburg/Südbaden, „Unser Tag“ hieß das Blatt. Sie
erschien als Tageszeitung mit mehreren Lokalteilen für den südbadischen Teil
der französischen Besatzungszone. Solche kommunistischen Regionalzeitungen gab
es in fast allen Besatzungsgebieten. Da habe ich mein Volontariat gemacht und
dann auch meine erste Redakteurstätigkeit absolviert.
Ab 1951
war ich dann Chefredakteur des damals schon illegal erscheinenden westdeutschen
FDJ-Organs „Junges Deutschland“, weil die FDJ schon vor der KPD ab 1952 von der
Adenauer-Regieruntg verboten worden war. 1956 hat die Partei dann beschlossen,
dass ich Vertreter der westdeutschen FDJ in Budapest beim „Weltbund der
demokratischen Jugend“ (WBDJ) werde. Ich war vier Jahre in Budapest beim WBDJ
und dort auch Redakteur für dessen Zeitschrift „Weltjugend“, die in mehreren
Sprachen veröffentlicht wurde. Da habe ich Rundreisen gemacht in Europa,
Jugendleiter zu Fragen der Ost-West-Kontakte interviewt und so was alles. Ich
habe an der Vorbereitung der Weltjugendfestspiele in Warschau und Moskau und
auch in Wien aktiv mitgewirkt.
Nachdem
das zu Ende ging und ich in die BRD zurückkam, war ich eigentlich immer
journalistisch tätig, und zwar immer legal. Wir haben einen Jugendinformationsdienst,
das „Junge Wort“, herausgegeben, eine Lose-Blatt-Sammlung mit Nachrichten aus
der Jugendbewegung, zusammen mit einem Sozialdemokraten, einem Juso, der der
Herausgeber war. Ich war der Redakteur. Dann machte ich als „freier Journalist“
per Postversand an Adressen Umfragen zu aktuellen politischen Themen wie der
geplanten Stationierung von Atomminen in der BRD oder später zum KPD-Verbot,
und aus den Rückantworten machte ich dann Artikel, die ich auch an die
bürgerliche Blätterwelt zu Kenntnisnahme und Nachdruck verschickte. Ich schrieb
auch Artikel für diese und jene fortschrittliche Zeitung, die damals in der
Bundesrepublik legal erschienen – zum Beispiel die „Deutsche Volkszeitung“, die
antifaschistische Wochenzeitung „Die Tat“ oder auch die regionalen legalen
linken Blätter, die unter kommunistischem Einfluss nach dem KPD-Verbot
erschienen sind. Es gab fast in jedem Bundesland eine legale, den Kommunisten
nahestehende Zeitung, im Ruhrgebiet „Tatsachen“, in Frankfurt „Der Frankfurter
Bote“, in Hamburg „Blinkfüer“ und so weiter.
Dann war
ich zum Schluss noch in Bonn, der damaligen Bundeshauptstadt. Da gab es die
„Bonner Korrespondenz“, die als Informationsdienst erschien. Das war ein
Restbestand aus der Zeit, als die KPD bis 1953 im Bundestag vertreten war. Da
gab es einen Genossen, der als Redakteur bei der Bundespressekonferenz
angemeldet war, Anton Preckel in Bonn, und der gab diese Bonner Korrespondenz
heraus, über Vorgänge im Bonner Parlament und in der Regierung, auch nach dem
KPD-Verbot, aus kommunistischer Sicht natürlich. Damals wurde gesagt, du hilfst
jetzt dem Preckel, und wirst verantwortlicher Redakteur der „Bonner
Korrespondenz“. Wir haben dann umgestellt auf eine Lose-Blatt-Sammlung, mit
verschiedenen Farben für aktuelle Politik, Sozialpolitik, Internationalem und
so.
UZ: Wer
waren die Adressaten der „Lose-Blatt-Sammlung“?
Georg
Polikeit: Die Adressaten waren wahrscheinlich noch überwiegend Mitglieder der
inzwischen illegalen KPD, aber keineswegs alle. Es war eben ein Mittel der
legalen Arbeit der verbotenen Partei. Über diese Arbeit habe ich auch die
Kontakte gekriegt mit Kurt Bachmann und anderen. Ich bin heute der letzte
Überlebende der kleinen Gruppe um Kurt Bachmann, die dann die Konstituierung
der DKP vorbereitet und in die Praxis umgesetzt hat. Kurt Bachmann war
Vertreter der antifaschistischen Wochenzeitung „Die Tat“ in Bonn und auch
Mitglied der Bundespressekonferenz. Die Akteure waren fünf Genossen, neben Kurt
Bachmann, Kurt Erlebach aus Hamburg, einst der jüngste, von der KPD entsandte
Bürgerschaftsabgeordnete in Hamburg, dann war noch Sepp Meier aus Frankfurt,
Karl-Heinz Noetzel aus Essen und Ludwig Müller aus Angermund bei Düsseldorf.
Das war die kleine Crew, die diese ganze Sache vorbereitet hat. Ich habe den
ersten Entwurf für die Erklärung zur Neukonstituierung der DKP verfasst und
auch den Entwurf der Broschüre „Fragen und Antworten“, die wir damals als
Vorbereitung auf die Pressekonferenz gemacht haben. Wir waren der Meinung, wir
machen eine solche Frage-und-Antwort-Ausarbeitung vorher, damit man weiß, was
man auf bestimmte Fragen antwortet. Das war also die Vorbereitung der
Pressekonferenz am 26. September 1968.
UZ: Nun,
das hat den Weg vorgezeichnet …
Georg
Polikeit: Ich habe die Pressekonferenz für die Konstituierung im überfüllten
Untergeschoss im „Wirtshaus Kanne“, einer Apfelweinkneipe in
Frankfurt-Sachsenhausen, geleitet, wo die neukonstituierte DKP zum ersten Mal
öffentlich auftrat und ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald verursachte. Da
hieß es dann, jetzt kannst du auch weiter die Pressearbeit der neugeschaffenen
DKP machen, also bist du der Pressesprecher der DKP. Ich habe dann die
DKP-Pressedienste herausgegeben. Das wurde bei der Bundespressekonferenz in
Bonn auf die Tische gelegt, und so haben wir unsere Informationen und
Erklärungen zu politischen Vorgängen verbreitet. Wir haben ziemlich viel
gemacht, jeden zweiten oder dritten Tag war ein Pressedienst fällig.
Auf dem
Düsseldorfer Parteitag 1971 wurden dann die Weichen gestellt, die Wochenzeitung
in die Tageszeitung umzuwandeln. Das steht erstmals im Protokoll des
Düsseldorfer Parteitags. Die Partei wird aufgefordert, die Verbreitung der UZ
noch mehr zu fördern und mehr Abonnenten zu werben, um damit den Übergang zur
Tageszeitung vorzubereiten. Und kurze Zeit danach gab es dann eine
Präsidiumsberatung – das hieß ja damals Präsidium, das oberste Gremium zwischen
den Parteivorstandstagungen – und da wurde dann beschlossen, dass ich die
Chefredaktion der Tageszeitung übernehmen solle. Unter anderem, weil Gerd
Deumlich im Rahmen der Präsidiumsarbeit die wichtige Position der Arbeit mit
den Intellektuellen und Kulturschaffenden übernehmen sollte. Er sollte das neu
aufbauen, was er dann auch erfolgreich getan hat. Und ich wurde unter anderem
als Chefredakteur ausgewählt, weil ich einer der wenigen journalistisch
vorgeprägten Kommunisten war, die noch bei einer Tageszeitung tätig gewesen
waren, also Tageszeitungserfahrung hatte.
UZ: Was
ist deiner Auffassung nach der wesentliche Unterschied zwischen Tageszeitung
und Wochenzeitung?
Georg
Polikeit: Ich würde sagen, es ist eine völlig andere Herangehensweise. Denn bei
der Tageszeitung hängst du an der Aktualität. Das ist die vordergründige
Geschichte, wenn du die Aktualität nicht bewältigst und immer aussiehst wie die
letzte Zeitung vom vorigen Jahr, dann brauchst du keine Tageszeitung machen.
Eine Tageszeitung muss tagesaktuell sein, und das ist eine Anforderung, die du
bei einer Wochenzeitung nicht erfüllen musst.
Ich will
hier aber auch sagen, dass der Beschluss, die UZ zur Tageszeitung zu machen,
wohl doch unsere damaligen Möglichkeiten noch überstieg. Wir waren eigentlich
zu früh dran damit. So eine täglich erscheinende Zeitung von einem Punkt aus
für die ganze Bundesrepublik zu machen und zu vertreiben, sodass sie am anderen
Tag beim Abonnenten ist, ist eigentlich fast ein Ding der Unmöglichkeit. Denn
du musst den Redaktionsschluss so früh legen, dass die Züge in alle Teile des
Landes noch erreicht werden, dann kannst du wenigstens die Masse der Abonnenten
am anderen Tag mit der Zeitung bedienen. Oder du legst ihn spät, wie bei den
anderen Zeitungen, aber dann kriegen die Leute immer nur die Zeitung vom
vorigen Tag. Das geht nicht. Also du musst schon früh Redaktionsschluss machen,
was bedeutete, wir mussten spätestens um 16 Uhr Redaktionsschluss machen. Und
damit waren wir natürlich immer im Rückstand gegenüber den bürgerlichen
Tageszeitungen. Deswegen sage ich, wir sind da sicherlich zu euphorisch an die
Dinge herangegangen. Aber es ist klar, die DKP entwickelte sich in den Jahren
positiv. Wir bekamen Zulauf. Wir waren anerkannt, vor allen Dingen auch in der
Jugend- und Studentenbewegung. Also wir hatten nicht das Gefühl, dass wir
isoliert sind, wie das heute vielfach der Fall ist. Sondern wir waren sozusagen
im Kommen. Und da lag eben der Schritt nahe: Wir machen eine Tageszeitung.
UZ:
Welche Möglichkeiten hattet ihr denn damals?
Georg
Polikeit: Die DKP hatte in ihren besten Zeiten knapp 40000 Mitglieder, eher ein
paar weniger. Die Redaktion der Tageszeitung hatte etwa 40 Mitarbeiter. Wir
haben eineinhalb Jahre gebraucht vom Beschluss, wir machen Tageszeitung, bis
zur Verwirklichung. Es dauerte noch bis zum 3. Oktober 1973, bis die erste
Tageszeitung erschien. Das hing vor allem auch damit zusammen, dass wir eine
Druckerei nahe dem Redaktionssitz in Düsseldorf brauchten.
Insbesondere
mit Hilfe der DDR wurde dafür eine Filiale der bis dahin in Neumünster
ansässigen Druckerei Plambeck in Neuss auf der grünen Wiese gebaut.
UZ: Was
ist das Resümee deiner Zeit als Chefredakteur?
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Zwei UZ-Chefredakteure: Georg Polikeit und Lars Mörking (Foto: UZ) |
Georg
Polikeit: Ich musste dafür sorgen, dass die 40 Leute jeden Tag eine Zeitung
zusammenbringen, und zwar eine Zeitung, die unseren Vorstellungen von
Arbeiterzeitung, aber auch unseren Vorstellungen als Parteizeitung entsprach,
und das war immer ein Spannungsfeld. Es gab immer die Kritik, dass wir die
Partei zu sehr nach vorn stellen und viel zu wenig das aufgreifen, was die
Leute wirklich im Kopf haben und denken. Es gab auch immer die Vorstellung, die
UZ müsste eine linke Bildzeitung sein. Ich habe auf vielen Leserversammlungen
gesagt, das ist eine Illusion. Eine linke Bild-Zeitung kann es unter unseren
Verhältnissen gar nicht geben. Denn die Bild-Zeitung lebt davon, dass sie an
den Vorurteilen ihrer Leser anknüpft und sie nach rechts manipuliert. Aber eine
kommunistische Zeitung kann nicht an den vorgeprägten Meinungen anknüpfen, die
die Leute schon im Kopf haben. Die wollen wir ja gerade verändern mit der
Zeitung. Und deswegen, wenn du was verändern willst, kannst du manche Sachen
nicht in drei Zeilen abhandeln. Du musst nicht nur sagen, so ist es, sondern
musst beweisen, dass es so ist und dafür Fakten anführen und das braucht nun
mal auch mehr Platz. Natürlich muss man trotzdem bestrebt sein, so kurz wie
möglich zu schreiben und nicht dauernd ganze Seiten zu verfassen.
Von Lars
Mörking und Christoph Hentschel im Gespräch mit Georg Polikeit
Aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 29. März 2019
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