Mittwoch, 28. November 2018

Amri war nicht allein


Weihnachtsmarktattentäter verriet Plan an Polizeispitzel. Behörden observierten den Terroristen jahrelang

Die "Beteiligten", Foto: "junge Welt"
Nirgendwo leben Attentäter so sicher wie in Deutschland. Sie werden schließlich lückenlos von den Behörden bewacht.

Das gilt nicht nur für Neonazis, die mordend durchs Land ziehen und jahrelang nicht geschnappt werden. 

Es gilt auch für Islamisten wie den Berliner Weihnachtsmarkt-attentäter Anis Amri. 

Der Tunesier ist für zwölf Tote verantwortlich; nach der Ermordung eines Lkw-Fahrers raste er am 19. Dezember 2016 mit dem gestohlenen Wagen auf den Berliner Breitscheidplatz und tötete hier elf Menschen, etliche weitere wurden schwer verletzt. Diese Tat beging Amri unter den Augen des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin. Wie am Montag bekannt wurde, waren nicht nur mindestens drei »Vertrauenspersonen« auf ihn angesetzt, einer soll auch vorab von den Anschlagsplänen erfahren haben.

Berichten der Morgenpost und des ARD-Magazins »Kontraste« vom Dienstag zufolge räumte der Berliner LKA-Leiter Christian Steiof bereits am Freitag im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses die Existenz dieser Spitzel ein. Zwei der V-Männer waren im Drogenmilieu eingesetzt, einer von ihnen soll Kontakt zu dem als »Gefährder« eingestuften Islamisten Feysal H. gehalten haben. H. habe seiner LKA-Kontaktperson berichtet, von Amri in dessen Vorhaben, einen Anschlag mit einem LKW zu begehen, eingeweiht worden zu sein. Nach Angaben von Teilnehmern der Sitzung versicherte Steiof, dass seine Behörde erst nach dem Anschlag von der V-Person erfahren habe, dass ihr der Terrorplan bekannt gewesen sei.

Es ist dies, in einer mehr als zähen Aufklärung des Falles, ein neuer Tiefpunkt: Die bisherige, mutmaßlich auf Fälschungen aus dem eigenen Haus basierende Legende des LKA, Amri sei lediglich ein unbedeutender Kleindealer gewesen, entpuppte sich schon 2017 als reine Schutzbehauptung; der damalige Polizeipräsident Klaus Kandt stürzte über die Affäre. Doch die Vertuschungen setzten viel früher ein. Schon Anfang 2016, ein knappes Jahr vor dem Anschlag, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) begonnen, Informationen über Amri zu sammeln. 

Dieser sei gar einer von nur 40 bis 50 »islamistischen Gefährdern« gewesen, über die sie in dieser Zeit Akten geführt habe, sagte die zuständige Sachbearbeiterin der Behörde im vergangenen Jahr im Untersuchungsausschuss des Bundestages aus. Sie bejahte, dass Amri bereits mit »nachrichtendienstlichen Mitteln« beobachtet worden sei. Dies hatte der damalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen vorher bestritten – Amri sei ein »reiner Polizeifall« gewesen. Die BfV-Überwachung war erfolgreich, das Amt konnte einen »V-Mann« in einer islamistischen Moschee in seiner Nähe installieren. Der Verhinderung des Attentats diente er offenkundig nicht.

Vor Amris Übersiedelung aus Dortmund nach Berlin war auch das nordrhein-westfälische LKA auf seiner Spur. Der dortige V-Mann »Murat« alias »VP-01« war gezielt auf ihn angesetzt; »Murat« brachte Amri schließlich im Auto in die Hauptstadt. Der Spitzel, der gleichzeitig als islamistischer Agitator tätig war, soll auch Amri zu Anschlägen in der BRD angestiftet haben.

Amris Weg in Deutschland war mit Agenten, Spitzeln und »V-Leuten« flankiert. Dass die Identität des Attentäters als tunesischer Flüchtling ausgerechnet vom Dresdner Pegida-Boss Lutz Bachmann auf Twitter öffentlich gemacht worden war, rundet das Bild ab: Alle wussten hier offenbar alles. Nur verhindern wollte niemand etwas. Auf die Frage, warum dies so ist, folgt stets eine weitere: Wem nutzt es?

Aus „junge Welt“ vom 28.11.2018

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