Verschachert werden Flüchtlinge, Kurden, die
Rechte der Türken und ihres Parlaments
Bundeskanzlerin
Angela Merkel hat ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Am vergangenen Montag
hat sie in Istanbul den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen.
Am Freitag zuvor hatte das türkische Parlament die Immunität eines Viertels seiner
Abgeordneten aufgehoben. Die meisten der kriminalisierten Parlamentarier kommen
von der prokurdischen HDP. Der Vorwurf gegen die meisten von ihnen:
Unterstützung der „Terrororganisation“ PKK.
Während
Erdogan nicht einmal vorgibt, die formalen Spielregeln der bürgerlichen
Demokratie einzuhalten, erklärte Merkel, warum sie das Gespräch mit dem
türkischen Staatschef suche: Deutschland sei zwar – trotz Flüchtlingsdeal –
nicht einseitig abhängig von der Türkei. Es gebe aber „wechselseitige
Abhängigkeiten“. „Sie können es auch einfach die Notwendigkeit zum
Interessenausgleich nennen“, so Merkel im Interview mit der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung.
Das
Interesse Merkels ist: Sie will die EU gegen Flüchtlinge abschotten, das eigene
Image als Willkommenskanzlerin erhalten und andere die Drecksarbeit machen
lassen. Erdogan will die Macht des AKP-Regimes sichern und sich selbst zum
mächtigen Präsidenten krönen lassen. Er soll der EU den Türsteher machen. Die
EU zahlt dafür sechs Milliarden Euro. Merkel gibt ihre politische Unterstützung
für Erdogan dazu.
Das kurdische Cizre zerstört von türkischen Truppen (Foto HDP) |
Seit dem
vergangenen Herbst hat Erdogan kurdische Städte zerstören und einen russischen
Kampfbomber abschießen lassen, kurdische Stellungen in Syrien beschießen und
demokratische Journalisten ins Gefängnis stecken lassen. Der DKP-Vorsitzende
Patrik Köbele stellte am Sonntag fest: „Merkel hat hat ihren Teil dazu
beigetragen, dass das AKP-Regime seine Macht stabilisieren konnte. Für den
Terror und die Repression, die vom türkischen Staat ausgehen, trägt deshalb die
deutsche Regierung einen Teil der Verantwortung.“ Köbele forderte: „Die
Bundesregierung muss den Flüchtlingsdeal mit Erdogan stoppen, sie muss das
PKK-Verbot aufheben, sie muss die Bundeswehrsoldaten aus dem türkischen
Incirlik abziehen.“ Auch bürgerliche Politiker in Deutschland gehen auf Distanz
zu ihrem türkischen Partner. Bundestagspräsident Lammert bescheinigte Erdogan
„autokratische Ambitionen“.
Merkel
bleibt Erdogan gewogen. Um das zu zeigen, erlaubte sie die Strafverfolgung des
Satirikers Böhmermann. Bei ihrem Türkeibesuch traf sie sich am Sonntag zwar mit
„Vertretern der Zivilgesellschaft“, die Erdogan nicht unterstützen. Zu einem
Treffen mit kurdischen Politikern oder verfolgten demokratischen Journalisten
war sie nicht bereit – „um Erdogan nicht zu verärgern“, schätzt Sevim Dagdelen
(Linkspartei) ein.
Während
der türkische Staat die Terror-Vorwürfe gegen die PKK nutzt, um die
demokratische Opposition zu beseitigen und den Krieg gegen die Kurden
anzuheizen, verfolgt auch die deutsche Justiz mutmaßliche PKK-Mitglieder. Erst
am 12. Mai hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Prozess gegen Ahmet Celik
eröffnet. Der Vorwurf: Er sei Mitglied einer „ausländischen terroristischen
Vereinigung“, er sei ein Kader der PKK. Deutschland hält am Verbot der PKK
fest, während die an Öcalan orientierten Teile der kurdischen Bewegung in
Syrien den IS-Terror erfolgreich bekämpfen.
Merkel
lasse sich von Erdogan erpressen – das kritisieren Horst Seehofer, Alexander
Gauland und verschiedene Zeitungen. Mit dem Wort von den „wechselseitigen
Abhängigkeiten“ reagiert Merkel auf diese Kritik und macht deutlich: Ihr Deal
mit Erdogan hat seinen Preis, und er hat seine Gegenleistung. In Merkels
Kosten-Nutzen-Rechnung ist der Türsteher Erdogan die Unterstützung wert. Die
Rechte der Kurden, die Demokratie in der Türkei und der Kampf gegen
Fluchtursachen sind in dieser Rechnung unwesentliche Posten.
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