Zuglinien
werden lahmgelegt, Fähren dürfen nicht fahren, Grenzen werden geschlossen.
Alles um Flüchtlinge von der EU fernzuhalten oder um Flüchtlinge innerhalb der
EU daran zu hindern, in das Land zu kommen, auf dem ihre Hoffnungen ruhen –
pervers.
Das beherrschende
Thema ist die Flüchtlingssituation. Es beherrscht die Nachrichten, die Politik,
die Stammtische. Offensichtlich haben die Naziausschreitungen von Heidenau die
herrschende Politik, die herrschende Klasse und die Medien zumindest etwas
aufgeschreckt. Bis Heidenau hatte man doch den Eindruck, dass Pogrome
herbeigeredet und –geschrieben werden sollen. Das hat sich etwas geändert. Das
ist gut so. Es ist gut, wenn medial Rassismus und Fremdenfeindlichkeit isoliert
werden und eine „Willkommenskultur“ gegenüber Flüchtlingen propagiert wird. Es
ist gut, dass die Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen und Flüchtlingen,
die wegen Hunger, Elend und Unterentwicklung ihre Heimat verlassen, nach den
Ausschreitungen in Heidenau etwas in den Hintergrund gerückt ist.
Es ist
gut, dass tausende Menschen nicht nur „Refugees welcome“ sagen, sondern auch
praktische Solidarität organisieren und sich Rassisten und Faschisten
entgegenstellen. Die staatlichen Repressionsorgane, vor allem die Polizei,
scheinen allerdings noch nicht überall mitbekommen zu haben, dass derzeit ein
anderes Klima gewünscht ist. Anders kann man es sich nicht erklären, dass eine
Truppe von Neonazis in Dortmund durch den Hauptbahnhof ziehen und dort
diejenigen, die die Flüchtlinge willkommen heißen verprügeln konnte. Anders
kann man es sich nicht erklären, dass die Polizei bei einer Antinazi-Aktion in
Essen die Personalien von einem SPD-Bezirksbürgermeister, einem Juso, einer
Genossin und mir aufnahm – ProNRW-Rassisten hatten uns wegen Körperverletzung
angezeigt, weil wir ihre rassistischen Hetzparolen mit Trillerpfeifen
begleiteten.
Das Klima
ist derzeit positiv verändert. Das ist zu begrüßen. Aber wir dürfen trotzdem
die Heuchelei nicht vergessen und auch nicht die Unmenschlichkeit. Nach wie vor
ersaufen die Menschen im Mittelmeer, nach wie vor ersticken sie in Containern
und LKWs. Das passiert natürlich auch, weil Schlepper an ihnen und ihrem Leid
verdienen wollen und können. Aber warum ist das so eine lukrative
Einnahmequelle? Erstens, weil sich die EU brutal abschottet, zweitens wegen der
Dublin-Abkommen, die es fast unmöglich machen, in den reichen EU-Ländern einen
Asylantrag zu stellen und drittens und entscheidend, weil die Herrschenden der
EU zusammen mit dem US-Imperialismus und oft mit ihrem Aggressionsbündnis NATO
die massenhafte Flucht überhaupt erst verursachen.
In
unterschiedlichen Koalitionen wurde die Zerstörung der staatlichen Integrität
in Syrien, im Irak und in Libyen vorwärtsgetrieben. Immer war es das Ziel, die
dort existierenden Regierungen, die nicht oder nicht vollständig nach der
Pfeife der hochentwickelten, westlichen Imperialismen tanzten, zu stürzen.
Dafür war jede Lüge, fast jedes Mittel und jeder Bündnispartner Recht. Was also
soll die Heuchelei über den IS? Das du8rch ständige Destabilisierung
geschaffene Machtvakuum gab diesen Kräften den Raum und Verbündete wie
Saudi-Arabien, die Türkei oder Katar gaben das Geld und die Waffen. Die
Heuchelei geht weiter: Die Türkei nutzte den angeblichen Kampf gegen den IS, um
endgültig den „Friedensprozess“ mit der PKK kaputt zu bomben. Seit Dienstag ist
es offiziell, dass die Türkei militärisch die Grenze zum Irak überschritten
hat, um die PKK zu eliminieren.
Und wir
sollten nicht vergessen: An diesen immer wieder aufbrechenden Konflikten und
den Kriegen verdienen die Rüstungskonzerne, vor allem auch deutsche, wie
Heckler und Koch. Sie verdienen an Rüstungsexporten und der Lizenzproduktion
ihrer Waffen.
Diese und
weitere kriegerische Auseinandersetzungen in Afrika sind die Hauptursache der
heutigen Millionenflucht. An zweiter Stelle folgt die Armut, die nicht weniger
furchtbar ist, aber als Fluchtursache diskreditiert wird. Von
„Wirtschaftsflüchtlingen“ und „sicheren Drittstaaten“ ist die Rede. Übersetzt
heißt das: Wenn Du fliehst, weil Du und Deine Familie hungern, weil Du und
Deine Kinder keine Perspektive haben, weil ihr wegen des fehlenden
Gesundheitswesens krank werdet und keinen Zugang zu Bildung und Kultur habt,
dann hast Du kein Recht zu fliehen. Schon gar nicht in die Länder, zu deren
herrschenden Klassen das Geld geflossen ist und fließt, das man aus deiner
Heimat herauspresst hat. Deutsche und Europäische Agrarkonzerne sind Mitschuld
an der Zerstörung der Landwirtschaft in Afrika, die Küsten werden leergefischt
und Tausende Fischer verlieren ihre Existenz, die Umweltzerstörung wird
billigend in Kauf genommen. Die Folgen treffen zuerst die armen Länder und dort
die Armen.
Es sind
dieselben, die an Kriegen, der weltweiten Unterentwicklung und der Ausblutung
Griechenlands verdienen, und die in unserem Land von den Hartz-Gesetzen
profitieren. Das ist die zweite Tatsache und der zweite Hintergrund für die
heutige Millionenflucht.
Und die
dritte Kategorie geschundener Menschen auf der Flucht, denen mit den
Asylverhinderungsgesetzen Deutschlands und der EU eine menschliche Perspektive
verbaut wird, das sind dann die sogenannten „Balkanflüchtlinge“. Schon der
Ausdruck alleine soll Vorurteile wecken. Auch hier gilt: Kommst du aus der EU,
ist es egal, wenn es dir dreckig geht, und wenn du im Gefolge der sozialen
Katastrophe in deiner Heimat als Minderheit verfolgt wirst. Wer aus der EU, aus
assoziierten Ländern oder Europa kommt, dem geht es per Definition gut. Das
wichtigste ist nicht die Hilfe, sondern die Notwendigkeit schnell eine riesige
Liste sicherer Drittstaaten auf EU-Ebene zu bekommen, damit die Abschottung
dichter wird und die Abschiebung schneller geht.
Was ist
unsere Aufgabe?
* Natürlich „Refugees welcome“. Auch wir
helfen, wo wir können, wir üben materielle Solidarität. Wir können Flüchtlinge
unterstützen, indem wir ihnen bei Ämtergängen helfen, übersetzen und wenn
möglich Wohnraum anbieten.
* Wir müssen überall und immer Rassismus
entgegentreten, dem von Institutionen, dem organisierten Rassistenpack, aber
auch dem latenten, in der Kneipe und Nachbarschaft.
* Wir müssen über Fluchtursachen aufklären und
über die, die an Fluchtursachen verdienen. Das ist ein entscheidend, um gegen
die Einteilung der Flüchtenden in willkommene (möglichst mehrsprachige, gut
ausgebildete und verwertbare) und nicht willkommene zu agieren. Wir fordern ein
uneingeschränktes Asylrecht. Und wir fordern Bleiberecht für alle Flüchtlinge.
* Stopp der Rüstungsexporte und Stopp der
Aktivitäten zur Destabilisierung Syriens, des Iraks und Libyens. Das kann sehr
schnell zur Verringerung der Massenflucht führen.
* Stopp der militärischen Planungen und
militärischen Einsätze gegen „sogenannte Schlepper“. Der Krieg gegen Schlepper
ändert nichts an den Fluchtursachen, vielmehr ist es ein Einsatz des Mörders,
der ruft „Haltet den Dieb.“
* Wir fordern menschenwürdigen Wohnraum. Es ist
einfach nicht wahr, dass es den nicht gibt. Alleine in Essen stehen mehrere
tausend Wohnungen leer, das ist vielerorts nicht anders. Wir fordern, dass
Vermieter, die Wohnraum aus Spekulationsgründen leer stehen lassen, gezwungen
werden, diesen für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen.
* Wir fordern menschenwürdige Bedingungen für
Flüchtlinge. Wir fordern keine Gutscheine, sondern ausreichende finanzielle
Unterstützung zur freien Verfügung. Sprachkurse und Ausbildungsmöglichkeiten
müssen geschaffen werden. Flüchtlinge, die dazu in der Lage sind und dies
wünschen, müssen die Möglichkeit haben zu arbeiten. Wir fordern, freien,
ungehinderten und vollständigen Zugang zum Gesundheitswesen ohne irgendwelche
Beantragungswege.
* Wir fordern Zuschüsse an Sportvereine und
Kultureinrichtungen, die sich um den Zugang von Flüchtlingen zu Sport und
Kultur verdient machen.
* Und wir fordern, besonders auch in dieser
Situation, das Verbot von rassistischen und faschistischen Veranstaltungen.
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen, Rassismus auch. Es gibt
kein Recht auf Nazipropaganda und es gibt kein Recht auf Rassismus.
Wir
müssen uns darauf einstellen, dass die momentane Stimmung sehr schnell wieder
in Richtung Rassismus kippen kann. Sehr schnell kann es passieren, dass nur
noch die Flüchtlinge willkommen sind, die politisch passen, weil sie entweder
politisch zur Legitimierung der weiteren Destabilisierung Syriens missbraucht
werden können oder mit ihrer Qualifikation ins Schema der Kapitalverwertung
passen – und nicht zuletzt Ausbildungsaufwand gespart werden kann.
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