Transparent von Eintracht Braunschweig Fans. (Foto: bs1895.de) |
Bürgerrechtler wollen polizeiliche
Notstandsgesetze stoppen
Die
Mehrheit der deutschen Bundesländer plant massive Verschärfungen der bisher
geltenden Polizeigesetze. Wo bisher die Unschuldsvermutung, das Recht auf
Versammlungsfreiheit und Verteidigung galt, soll künftig eine vermeintlich
„drohende Gefahr“ ausreichen, um potentielle Delinquenten vorbeugend und über
mehrere Wochen wegsperren zu dürfen.
Einher
geht der Abschied von jeglicher Rechtsstaatlichkeit mit einer ausufernden
Überwachung durch Polizei und Geheimdienste, denen künftig der Einsatz
sogenannter Staatstrojaner erlaubt werden soll, mittels derer Mobiltelefone,
Computer und Chatprogramme lückenlos überwacht werden können.
Zugleich
kommt es zu einer weiteren Militarisierung der Innenpolitik. So will das Gros
der Bundesländer künftig nicht nur die elektronische Fußfessel einsetzten,
sondern die Polizei auch mit Elektroschockpistolen, sogenannten Tasern,
ausrüsten, die vor allem für Menschen mit Herz- und Kreislauferkrankungen
schnell lebensgefährlich werden können. Die besagten Waffen sind mit
Metallpfeilen ausgestattet, die mit Drähten mit dem Abschussgerät verbunden
sind, und können kurzzeitig eine Spannung von bis zu 50 000 Volt auf die
Zielperson übertragen. Infolge dessen erlahmt die Muskulatur der Getroffenen
und lässt diese bewegungsunfähig zu Boden fallen. Die besagten Distanzwaffen,
die in den USA flächendeckend im Einsatz sind, haben dort schon zu Hunderten
Todesfällen geführt.
Während
in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits Zehntausende Menschen gegen den Abbau
ihrer Grund- und Freiheitsrechte auf die Straße gingen, formiert sich zunehmend
auch in anderen Bundesländern der Widerstand gegen den von Staat und
etablierter Politik ausgehenden Demokratieabbau. In Niedersachsen mobilisiert
ein breites Bündnis zu einer Großdemonstration, die am 8. September in Hannover
stattfinden soll.
Unter
anderem kritisieren die Bürgerrechtler, dass bei der geplanten Reform des neuen
niedersächsischen Polizeigesetzes (NPOG) „keine Konsequenzen aus den derzeit
faktisch belegbaren Gefahren des Terrorismus in Deutschland“ zu erkennen seien.
„Zu nennen sind das behördliche Versagen im Fall Anis Amri, dessen
Untersuchungen noch keine Ergebnisse geliefert haben, sowie die Aktenvernichtung,
die Aufklärungsvereitelung und Vertuschung der Morde des NSU“, kritisierte etwa
Digitalcourage e. V.
In
Sachsen, dem Bundesland, das mittlerweile wohl mit Abstand als reaktionärstes
gelten dürfte, plant die Landesregierung aus CDU und SPD sogar, selbst den
besonderen Schutz, unter dem etwa Journalisten, Rechtsanwälte und Ärzte stehen,
aufzuweichen. Geht es nach der Regierungskoalition, könnten zukünftig bei
„erheblichen Gefahren“ auch diese abgehört werden. Gegen die von der
sächsischen Landesregierung aus CDU und SPD geplanten Verschärfungen des
Polizeigesetzes hat sich unterdessen auch im Freistaat eine Initiative
gegründet. Die Kampagne „Sachsens Demokratie“ will versuchen, „den unhaltbaren
autoritären Zuständen im Freistaat Sachsen etwas entgegenzusetzen“.
Mehr als 40.000 protestierten in München. Foto: Bündnis NoPag |
Mit
Protesten ist unterdessen auch am 13. September in Düsseldorf zu rechnen. Dort
findet von 11 bis 13 Uhr eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses mit
Sachverständigen zur Novellierung der Polizeigesetzgebung im Düsseldorfer
Landtag statt. Nachdem der nordrhein-westfälische Landesinnenminister Herbert
Reul (CDU) sich aufgrund der von Experten und Bürgerrechtsorganisationen
geäußerten Ablehnung der von ihm gewünschten Verschärfungen des Polizeigesetzes
in NRW gezwungen sah, die Verabschiedung des Gesetzes auf die Zeit nach der
parlamentarischen Sommerpause zu verschieben, werden immer mehr Details
weiterer geplanter Gesetzesänderungen bekannt.
So gibt
es in NRW mittlerweile ein weiteres Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes,
welches den Titel „Gesetz zur Anpassung des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen
und des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden“ trägt und in
dem es, angelehnt an das BKA-Gesetz des Bundes, um die Anpassung des
Datenschutzes geht. So soll im Rahmen dieses Gesetzes geregelt werden, dass die
Polizei künftig personenbezogene Daten erheben darf, die von Bürgerinnen und
Bürgern beispielsweise in sogenannten sozialen Netzwerken selbst veröffentlicht
worden sind.
Auch auf
bundesweiter Ebene sind mittlerweile Proteste geplant. So mobilisieren
verschiedene Bürgerrechtsorganisationen zu einer Demonstration mit dem Titel
„Freiheit statt Angst – Stoppt die Polizeigesetze“ nach Berlin. Aufgrund
verschiedener Paralleltermine wurde die Großdemonstration, die ursprünglich
bereits Ende September stattfinden sollte, auf den 20. Oktober verschoben. Für
den 24. November ruft das Bündnis „Unheimlich sicher“ zu einer Demonstration
gegen die diesjährige Innenministerkonferenz (IMK) in Magdeburg auf.
Das
Bündnis befürchtet „weitere Strafverschärfungen und erweiterte Befugnisse für
Polizei und Ordnungsämter“. Dabei gehe es „den Sicherheitsorganen aber nicht um
Sicherheit und Terrorismus, sondern um die Kontrolle der gesamten Gesellschaft
sowie die damit verbundene Beschneidung von Grundrechten“. „Es geht
letztendlich um den Schutz der kapitalistischen Grundordnung mit ihrer
Elendsverwaltung, die sie ‚soziale Marktwirtschaft‘ nennen“, kritisieren die
Überwachungsgegner in ihrem Aufruf zu den Protesten.
Von
Markus Bernhardt
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Übersicht zu Polizeigesetzen der Länder und
dagegen gerichtete Bündnisse:
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Der erste Gefährder*
Staatsschutz benutzt PAG, Nürnberger Kommunist
darf sein Kind nicht sehen
Potentielle Gefährder auf dem Weg zu einer Zusammenrottung - Foto: uz |
Der erste
Gefährder Bayerns heißt Claudio K.* Er ist Betriebsrat, Gewerkschafter und
Kommunist. Die Polizei verhaftete Claudio am 9. Juni auf der Demonstration
gegen den AfD-Landesparteitag in Nürnberg. Der Vorwurf: Er soll bei einer
Rangelei der Polizei mit dem Schwarzen Block einen Beamten mit einer
Fahnenstange geschlagen haben, so zumindest die Aussage zweier USK-Beamter.
Die
Polizei ermittelt seitdem gegen ihn wegen „schwerer Körperverletzung“. Zeugen
bestätigen, dass Claudio während der ganzen Demonstration die Technik auf dem
Lautsprecherwagen des Nürnberger Jugendbündnisses betreute, der sich nicht mal
in der Nähe des Schwarzen Blocks befand. Trotzdem entzog das Jugendamt Claudio
das Umgangsrecht zu seinem 5-jährigen Kind.
Gegen
Ende der Demonstration näherten sich zwei Polizeitrupps von vorne und hinten
dem SDAJ-Block und zogen Claudio gezielt aus der Menge. Auf die Frage, warum er
jetzt vorläufig festgenommen werde, hieß es nur, das werde er auf der Wache
erfahren. Dort musste Claudio gut eine Dreiviertelstunde lang auf dem Gang
stehen, durfte sich nicht setzen, trinken oder austreten.
Erst als
er dem diensthabenden Beamten drohte, er werde sehr viel zu putzen haben,
durfte Claudio die Toilette benutzen. Danach begann das Verhör, ein
Kripo-Beamter belehrte ihn und teilte ihm die Anschuldigung der schweren
Körperverletzung mit. Claudio verweigerte die Aussage. Dann setzte ein Beamter
des Landeskriminalamtes (LKA) Bayern die Befragung fort.
Er
eröffnete Claudio, dass dem LKA seine SDAJ-Mitgliedschaft bekannt sei. Er solle
davon ein bisschen erzählen, wer zum Beispiel in der SDAJ Leitungsfunktionen
innehabe. Wenn sich er kooperativ zeige, dann könne man ihm das positiv
anrechnen. Claudio verlangte daraufhin einen Anwalt, was ihm verweigert wurde.
Eine Dreiviertelstunde dauerte die Befragung noch, Claudio schwieg. Während des
Verhörs meinte der LKA-Beamte zu ihm, dass man wisse, er Betriebsrat sei, ein
Kind habe und es doch schade wäre, wenn es da Probleme gäbe.
Eine
Woche nach dem Verhör meldete sich ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei Claudio
und teilte ihm mit, sie hätten Kenntnis von den Ermittlungen gegen ihn wegen
schwerer Körperverletzung bekommen und untersagten ihm deswegen den Umgang mit
seinem Kind, dazu reiche der Verdacht auf eine Gewalttat aus. Davor war das
Kind alle zwei Wochen bei ihm.
Nach dem
Verhör wurde Claudio ohne seine Einwilligung erkennungsdienstlich behandelt und
ohne anwesenden Arzt eine DNA-Probe genommen. Zwei Wochen später erhielt
Claudio ein Schreiben vom LKA Bayern, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er
jetzt als gewaltbereiter Linksextremist geführt und überwacht werde. Dies
bestätigte sich kurz darauf bei einer Anti-Pegida-Demonstration: Claudio trug
einen der schwarzen Regenschirme mit sich, die die Gewerkschaft ver.di zuvor
verteilt hatte. Die Polizei zog ihn aus der Demonstration heraus und stellte
seine Personalien fest, da ein Regenschirm „ein gefährlicher Gegenstand“ sei.
Einen Tag
später, auf einer Demonstration gegen zu hohe Mieten, verfolgten ihn zwei
Zivilpolizisten. Selbst als er nach der Abschlusskundgebung in einem Nürnberger
Szenelokal etwas aß, warteten die Beamten vor dem Lokal auf ihn und begleiteten
ihn im Abstand von zehn Metern zur nächsten U-Bahnstation.
Die
Nürnberger Staatsanwaltschaft lässt Claudios Anwalt nicht die Akten einsehen.
Seit knapp zwei Monaten ermittelt die Nürnberger Polizei im Fall Claudio. Auf
eine Anfrage des „Bayrischen Rundfunks“ gab die Polizei an, dass die
Ermittlungen und Maßnahmen gegen Claudio im Rahmen des neuen
Polizeiaufgabengesetzes (PAG) stattfinden und somit rechtmäßig seien. Mit dem
PAG können sogenannte Gefährder ohne richterliche Anweisung überwacht werden.
Claudio
vermutet, dass der Grund für die Repression gegen ihn in seiner Vergangenheit
liegt. Er war sieben Jahre lang in der SPD aktiv, bis er zum Nürnberger
Jugendbündnis kam, die SDAJ kennenlernte, aus der SPD aus- und in die SDAJ und
DKP eintrat. Während seiner Zeit bei der SPD hatte er eine wichtige
Parteifunktion inne und musste verschiedene Verschwiegenheitserklärungen zu
Vorgängen und Personen unterzeichnen. Jetzt befürchte der Staatsschutz wohl,
dass er sich an sein Versprechen nicht mehr halte.
* Claudio
K. ist Betriebsrat in einem Galvanik-Betrieb mit acht Beschäftigten in
Nürnberg. Da er und seine Kollegen wegen der guten Auftragslage bis zu 65
Stunden in der Woche arbeiten mussten, forderten sie von ihrem Chef, weitere
Arbeitskräfte einzustellen. Im Zuge der Auseinandersetzung gründeten Claudio
und seine Kollegen einen Betriebsrat, seine Kollegen wählten ihn. Der
Betriebsrat setzte sich durch: Es wurden weitere Einstellungen vorgenommen und
der Betrieb übernimmt keine Aufträge aus der Rüstungsindustrie mehr, die zuvor
rund 20 Prozent der Aufträge ausmachten.
Von Christoph
Hentschel
Aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 10. August 2018
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