Freitag, 31. August 2018

Abschied vom Rechtsstaat


Transparent von Eintracht Braunschweig Fans. (Foto: bs1895.de)
Bürgerrechtler wollen polizeiliche Notstandsgesetze stoppen

Die Mehrheit der deutschen Bundesländer plant massive Verschärfungen der bisher geltenden Polizeigesetze. Wo bisher die Unschuldsvermutung, das Recht auf Versammlungsfreiheit und Verteidigung galt, soll künftig eine vermeintlich „drohende Gefahr“ ausreichen, um potentielle Delinquenten vorbeugend und über mehrere Wochen wegsperren zu dürfen.

Einher geht der Abschied von jeglicher Rechtsstaatlichkeit mit einer ausufernden Überwachung durch Polizei und Geheimdienste, denen künftig der Einsatz sogenannter Staatstrojaner erlaubt werden soll, mittels derer Mobiltelefone, Computer und Chatprogramme lückenlos überwacht werden können.

Gegen die Einführung der staatlichen Überwachungssoftware hatte erst kürzlich der Datenschutzverein Digitalcourage eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht, die mittlerweile von über 10 000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt wird. Auch der Ausbau der Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen ist in den meisten geplanten Neufassungen der Polizeigesetze vorgesehen.

Zugleich kommt es zu einer weiteren Militarisierung der Innenpolitik. So will das Gros der Bundesländer künftig nicht nur die elektronische Fußfessel einsetzten, sondern die Polizei auch mit Elektroschockpistolen, sogenannten Tasern, ausrüsten, die vor allem für Menschen mit Herz- und Kreislauferkrankungen schnell lebensgefährlich werden können. Die besagten Waffen sind mit Metallpfeilen ausgestattet, die mit Drähten mit dem Abschussgerät verbunden sind, und können kurzzeitig eine Spannung von bis zu 50 000 Volt auf die Zielperson übertragen. Infolge dessen erlahmt die Muskulatur der Getroffenen und lässt diese bewegungsunfähig zu Boden fallen. Die besagten Distanzwaffen, die in den USA flächendeckend im Einsatz sind, haben dort schon zu Hunderten Todesfällen geführt.

Während in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits Zehntausende Menschen gegen den Abbau ihrer Grund- und Freiheitsrechte auf die Straße gingen, formiert sich zunehmend auch in anderen Bundesländern der Widerstand gegen den von Staat und etablierter Politik ausgehenden Demokratieabbau. In Niedersachsen mobilisiert ein breites Bündnis zu einer Großdemonstration, die am 8. September in Hannover stattfinden soll.

Unter anderem kritisieren die Bürgerrechtler, dass bei der geplanten Reform des neuen niedersächsischen Polizeigesetzes (NPOG) „keine Konsequenzen aus den derzeit faktisch belegbaren Gefahren des Terrorismus in Deutschland“ zu erkennen seien. „Zu nennen sind das behördliche Versagen im Fall Anis Amri, dessen Untersuchungen noch keine Ergebnisse geliefert haben, sowie die Aktenvernichtung, die Aufklärungsvereitelung und Vertuschung der Morde des NSU“, kritisierte etwa Digitalcourage e. V.

In Sachsen, dem Bundesland, das mittlerweile wohl mit Abstand als reaktionärstes gelten dürfte, plant die Landesregierung aus CDU und SPD sogar, selbst den besonderen Schutz, unter dem etwa Journalisten, Rechtsanwälte und Ärzte stehen, aufzuweichen. Geht es nach der Regierungskoalition, könnten zukünftig bei „erheblichen Gefahren“ auch diese abgehört werden. Gegen die von der sächsischen Landesregierung aus CDU und SPD geplanten Verschärfungen des Polizeigesetzes hat sich unterdessen auch im Freistaat eine Initiative gegründet. Die Kampagne „Sachsens Demokratie“ will versuchen, „den unhaltbaren autoritären Zuständen im Freistaat Sachsen etwas entgegenzusetzen“.

Mehr als 40.000 protestierten in München. Foto: Bündnis NoPag
Dabei wollen die Aktivistinnen und Aktivisten nicht nur gegen das geplante neue Polizeigesetz mobil machen, welches unter anderem vorsieht, dass einzelne Einheiten der Polizei zukünftig mit Handgranaten, Maschinengewehren und anderem militärisches Equipment ausgestattet werden, sondern wenden sich zugleich gegen „die Extremismusdoktrin, die einen ‚Lnksextremismus‘ konstruiert und kriminalisiert, indem emanzipatorische Politik mit nazistischer Gewalt gleichgesetzt wird. Außerdem soll die Kampagne auch „über zutiefst undemokratische Zustände in Sachsen“ berichten und „Rechtsbeugungen und Eingriffe in die Bürgerrechte durch Ermittlungsbehörden, Demokratiedefizite der Landesregierung und ihrer Behörden sowie Überwachung und Kontrolle von kritischer Zivilgesellschaft“ thematisieren.

Mit Protesten ist unterdessen auch am 13. September in Düsseldorf zu rechnen. Dort findet von 11 bis 13 Uhr eine öffentliche Anhörung des Innenausschusses mit Sachverständigen zur Novellierung der Polizeigesetzgebung im Düsseldorfer Landtag statt. Nachdem der nordrhein-westfälische Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) sich aufgrund der von Experten und Bürgerrechtsorganisationen geäußerten Ablehnung der von ihm gewünschten Verschärfungen des Polizeigesetzes in NRW gezwungen sah, die Verabschiedung des Gesetzes auf die Zeit nach der parlamentarischen Sommerpause zu verschieben, werden immer mehr Details weiterer geplanter Gesetzesänderungen bekannt.

So gibt es in NRW mittlerweile ein weiteres Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes, welches den Titel „Gesetz zur Anpassung des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen und des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden“ trägt und in dem es, angelehnt an das BKA-Gesetz des Bundes, um die Anpassung des Datenschutzes geht. So soll im Rahmen dieses Gesetzes geregelt werden, dass die Polizei künftig personenbezogene Daten erheben darf, die von Bürgerinnen und Bürgern beispielsweise in sogenannten sozialen Netzwerken selbst veröffentlicht worden sind.

Auch auf bundesweiter Ebene sind mittlerweile Proteste geplant. So mobilisieren verschiedene Bürgerrechtsorganisationen zu einer Demonstration mit dem Titel „Freiheit statt Angst – Stoppt die Polizeigesetze“ nach Berlin. Aufgrund verschiedener Paralleltermine wurde die Großdemonstration, die ursprünglich bereits Ende September stattfinden sollte, auf den 20. Oktober verschoben. Für den 24. November ruft das Bündnis „Unheimlich sicher“ zu einer Demonstration gegen die diesjährige Innenministerkonferenz (IMK) in Magdeburg auf.

Das Bündnis befürchtet „weitere Strafverschärfungen und erweiterte Befugnisse für Polizei und Ordnungsämter“. Dabei gehe es „den Sicherheitsorganen aber nicht um Sicherheit und Terrorismus, sondern um die Kontrolle der gesamten Gesellschaft sowie die damit verbundene Beschneidung von Grundrechten“. „Es geht letztendlich um den Schutz der kapitalistischen Grundordnung mit ihrer Elendsverwaltung, die sie ‚soziale Marktwirtschaft‘ nennen“, kritisieren die Überwachungsgegner in ihrem Aufruf zu den Protesten.

Von Markus Bernhardt

________________________________________________________________________________________________

Übersicht zu Polizeigesetzen der Länder und dagegen gerichtete Bündnisse:
________________________________________________________________________________________________


Der erste Gefährder*
Staatsschutz benutzt PAG, Nürnberger Kommunist darf sein Kind nicht sehen

Potentielle Gefährder auf dem Weg zu einer Zusammenrottung - Foto: uz
Der erste Gefährder Bayerns heißt Claudio K.* Er ist Betriebsrat, Gewerkschafter und Kommunist. Die Polizei verhaftete Claudio am 9. Juni auf der Demonstration gegen den AfD-Landesparteitag in Nürnberg. Der Vorwurf: Er soll bei einer Rangelei der Polizei mit dem Schwarzen Block einen Beamten mit einer Fahnenstange geschlagen haben, so zumindest die Aussage zweier USK-Beamter.

Die Polizei ermittelt seitdem gegen ihn wegen „schwerer Körperverletzung“. Zeugen bestätigen, dass Claudio während der ganzen Demonstration die Technik auf dem Lautsprecherwagen des Nürnberger Jugendbündnisses betreute, der sich nicht mal in der Nähe des Schwarzen Blocks befand. Trotzdem entzog das Jugendamt Claudio das Umgangsrecht zu seinem 5-jährigen Kind.

Gegen Ende der Demonstration näherten sich zwei Polizeitrupps von vorne und hinten dem SDAJ-Block und zogen Claudio gezielt aus der Menge. Auf die Frage, warum er jetzt vorläufig festgenommen werde, hieß es nur, das werde er auf der Wache erfahren. Dort musste Claudio gut eine Dreiviertelstunde lang auf dem Gang stehen, durfte sich nicht setzen, trinken oder austreten.

Erst als er dem diensthabenden Beamten drohte, er werde sehr viel zu putzen haben, durfte Claudio die Toilette benutzen. Danach begann das Verhör, ein Kripo-Beamter belehrte ihn und teilte ihm die Anschuldigung der schweren Körperverletzung mit. Claudio verweigerte die Aussage. Dann setzte ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA) Bayern die Befragung fort.

Er eröffnete Claudio, dass dem LKA seine SDAJ-Mitgliedschaft bekannt sei. Er solle davon ein bisschen erzählen, wer zum Beispiel in der SDAJ Leitungsfunktionen innehabe. Wenn sich er kooperativ zeige, dann könne man ihm das positiv anrechnen. Claudio verlangte daraufhin einen Anwalt, was ihm verweigert wurde. Eine Dreiviertelstunde dauerte die Befragung noch, Claudio schwieg. Während des Verhörs meinte der LKA-Beamte zu ihm, dass man wisse, er Betriebsrat sei, ein Kind habe und es doch schade wäre, wenn es da Probleme gäbe.

Eine Woche nach dem Verhör meldete sich ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei Claudio und teilte ihm mit, sie hätten Kenntnis von den Ermittlungen gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung bekommen und untersagten ihm deswegen den Umgang mit seinem Kind, dazu reiche der Verdacht auf eine Gewalttat aus. Davor war das Kind alle zwei Wochen bei ihm.

Nach dem Verhör wurde Claudio ohne seine Einwilligung erkennungsdienstlich behandelt und ohne anwesenden Arzt eine DNA-Probe genommen. Zwei Wochen später erhielt Claudio ein Schreiben vom LKA Bayern, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er jetzt als gewaltbereiter Linksextremist geführt und überwacht werde. Dies bestätigte sich kurz darauf bei einer Anti-Pegida-Demonstration: Claudio trug einen der schwarzen Regenschirme mit sich, die die Gewerkschaft ver.di zuvor verteilt hatte. Die Polizei zog ihn aus der Demonstration heraus und stellte seine Personalien fest, da ein Regenschirm „ein gefährlicher Gegenstand“ sei.

Einen Tag später, auf einer Demonstration gegen zu hohe Mieten, verfolgten ihn zwei Zivilpolizisten. Selbst als er nach der Abschlusskundgebung in einem Nürnberger Szenelokal etwas aß, warteten die Beamten vor dem Lokal auf ihn und begleiteten ihn im Abstand von zehn Metern zur nächsten U-Bahnstation.

Die Nürnberger Staatsanwaltschaft lässt Claudios Anwalt nicht die Akten einsehen. Seit knapp zwei Monaten ermittelt die Nürnberger Polizei im Fall Claudio. Auf eine Anfrage des „Bayrischen Rundfunks“ gab die Polizei an, dass die Ermittlungen und Maßnahmen gegen Claudio im Rahmen des neuen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) stattfinden und somit rechtmäßig seien. Mit dem PAG können sogenannte Gefährder ohne richterliche Anweisung überwacht werden.

Claudio vermutet, dass der Grund für die Repression gegen ihn in seiner Vergangenheit liegt. Er war sieben Jahre lang in der SPD aktiv, bis er zum Nürnberger Jugendbündnis kam, die SDAJ kennenlernte, aus der SPD aus- und in die SDAJ und DKP eintrat. Während seiner Zeit bei der SPD hatte er eine wichtige Parteifunktion inne und musste verschiedene Verschwiegenheitserklärungen zu Vorgängen und Personen unterzeichnen. Jetzt befürchte der Staatsschutz wohl, dass er sich an sein Versprechen nicht mehr halte.

* Claudio K. ist Betriebsrat in einem Galvanik-Betrieb mit acht Beschäftigten in Nürnberg. Da er und seine Kollegen wegen der guten Auftragslage bis zu 65 Stunden in der Woche arbeiten mussten, forderten sie von ihrem Chef, weitere Arbeitskräfte einzustellen. Im Zuge der Auseinandersetzung gründeten Claudio und seine Kollegen einen Betriebsrat, seine Kollegen wählten ihn. Der Betriebsrat setzte sich durch: Es wurden weitere Einstellungen vorgenommen und der Betrieb übernimmt keine Aufträge aus der Rüstungsindustrie mehr, die zuvor rund 20 Prozent der Aufträge ausmachten.

Von Christoph Hentschel
Aus „unsere zeit (UZ) – Zeitung der DKP“ vom 10. August 2018

Keine Kommentare: