Sonntag, 20. Januar 2013

Die ordnende Hand des Staates

»Der Feind steht links!« Podiumsdiskussion auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Einige Ausschnitte

Podium der XVIII. RL-Konferenz, Foto: junge Welt
Seit einigen Jahren findet im Vorfelde der Gedenkdemonstration an die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg die "Rosa Luxemburg Konferenz" der unabhängigen marxistischen Zeitung "junge Welt" statt. 

Auf dieser Konferenz diskutieren und feiern fortschrittliche Kräfte aus der gesamten marxistischen Bewegung gemeinsam. Dabei gibt es viel Verbindendes, aber auch vieles, wo unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen. Daraus entsteht teilweise ein richtungsweisender Diskurs über die gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Land. Genauso war es in diesem Jahr, daher dokumentieren wir an dieser Stelle einige Ausschnitte aus der Podiumsdiskussion. 


Quelle: "junge Welt" vom 14. Januar 2013:

"Neonazis morden unter den Augen des bundesdeutschen Staates, Linke, die antifaschistischen Widerstand leisten, bekommen die volle Härte des Gesetzes zu spüren. Warum das so ist, darüber diskutierten auf der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz Gabriele Heinecke (Rechtsanwältin), Susann Witt-Stahl (Publizistin), Sandra Bakutz (Internationale Plattform gegen Isolation, im Programm angekündigt als »Monika Montag«), Patrik Köbele (stellvertretender Vorsitzender der DKP) und Bodo Ramelow (Vorsitzender der Linksfraktion im Thüringer Landtag). Wir dokumentieren im folgenden einige Auszüge, eine Langfassung der Diskussion erscheint Anfang April in der Broschüre zur Konferenz.

Arnold Schölzel:

Neonazis, Rechte, Ausländerhasser haben seit 1990 in der Bundesrepublik fast 200 Menschen getötet. Geändert hat sich am staatlichen Verhalten gegenüber dem Neofaschismus nichts: Er wird staatlich gefördert, wie selbst das Bundeskriminalamt 1997 oder das Bundesverfassungsgericht 2003 festhielten, seine Ideologie hat viele Schnittmengen mit der deutscher konservativer Ausländerfeinde und Asylbewerberbekämpfer. Offiziell wird unverdrossen die Extremismustheorie zur Grundlage staatlichen Handelns gemacht, obwohl die Kooperation, die Bildung von Neonazigruppen und -organisationen durch staatliche Förderung aktenkundig ist. Extremismus gibt es de facto nur auf der Linken – einer Art »Hexenwissenschaft« hat der Historiker Wolfgang Wippermann die sogenannte Forschung dazu einmal genannt. Nach ihr sitzen die Demokraten wie in einer Wagenburg und müssen gewärtig sein, daß von außen auf sie eingeschlagen wird. Wippermann bezeichnete das zu Recht als »ein nicht existierendes Problem«. Aber immerhin: Am 24. November 2011, 20 Tage nach dem Auffinden von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach und dem ersten Schock über die zehn Ermordeten, sprach SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Bundestag und erklärte, es gebe keine »linksextremistischen Schlägertrupps«, die »ganze Landstriche terrorisieren«. Damals wurde es bei Union und FDP laut. Und als er ansetzte: »Sorgen wir dafür, daß in diesem Land …«, kam vom CDU-Abgeordneten Michael Grosse-Brömer, Direktmandat Wahlkreis Harburg in Nieder­sachsen, der Zwischenruf: »keine Linksextremen sind!« Steinmeier fuhr fort, »Rassismus und Fremdenhaß … nie wieder eine Chance haben«. Zehn von Neofaschisten Ermordete machen einen wie Grosse-Brömer munter und wachsam, als Skandal ging das nicht in die Geschichte des Bundestages ein. Der Mann wurde befördert und ist jetzt parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion.

Leute wie er prägen dieses Land, die herrschende Politik und verhindern, daß über die Verflechtung von Staat und rechtem Terror aufgeklärt wird. Entscheidend ist aber, daß dieses Thema auch von der Linken nur selten grundsätzlich angefaßt wird. Warum das so ist, soll heute Thema sein. (…)

Im Interview mit der jungen Welt [vom 8.1., d. Red.] sagten Sie: »Es ist an der Zeit, über die Ursachen für die Verquickung staatlicher und faschistischer Organisation nachzudenken«, und verwiesen darauf, »daß es in diesem Land viele schöne Worte, aber nie einen Bruch mit der Vergangenheit gegeben hat«. Der NSU sei keine Panne, sondern konsequente Folge dieser Politik. Die Kontinuität, die Sie konstatieren, wurde von der etablierten Politik der Bundesrepublik seit 1949 immer abgestritten. Und 1990 sprach Antje Vollmer im Bundestag die Grünen und gleich ihre ganze Generation heilig, weil sie »diese deutsche Gesellschaft gründlich zivilisiert« habe. (…) Spätestens seit 1990, ließe sich doch sagen – das war nämlich die Zeit, als in der Bundesrepublik, die den Faschismus verharmlosende Rede von den zwei deutschen Diktaturen erfunden wurde – wird natürlich nur die Linke bekämpft und ihre angeblich diktatorischen Bestrebungen. Also wie ist das mit der Zivilisierung der deutschen Gesellschaft? Doch keine Kontinuität?

Gabriele Heinecke:

Also zum einen ist Frau Vollmer nicht unbedingt mein Maßstab, zum anderen habe ich nach 1990 von den Grünen zwei Dinge gelernt: Daß sie Kriegspartei sind und daß das Parteimitglied [Joseph] Fischer nach der rechtskräftigen Entscheidung des Areopag, 28 Millionen Euro an die Opfer des faschistischen Massakers von Distomo zu zahlen, gedroht hat: Im Falle einer Vollstreckung in Griechenland werde das Land nicht in die Euro-Zone kommen. Hätten doch die Griechen, sagen viele heute, damals richtig entschieden.

Aber zum Thema: Ich wundere mich, daß sich so viele wundern, daß das mit dem Verfassungsschutz so ist, wie es ist. Eigentlich weiß jeder, der lesen kann und recherchieren will, daß es eine Kontinuität des Schutzes von Rechten in dieser Republik gibt. Daß das abgestritten wird, ist eigentlich das Merkwürdige an der ganzen Geschichte. Man muß sich ja fragen, was der Verfassungsschutz überhaupt ist. Verfassungsschutz ist ja ein eher euphemistischer Ausdruck. Die Verfassung ist seit 1949 so oft verändert worden, daß man sich fragen muß, was denn jetzt daran zu schützen ist. Das Grundgesetz ist inzwischen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, und wenn der Verfassungsschutz die Notstandsgesetze schützen soll, dann hätte ich noch Verständnis dafür, daß er sich so verhält, wie er sich verhält. Das gilt auch für die faktische Abschaffung des Asylrechts oder die Berufsverbote oder eben den Einsatz der Bundeswehr überall auf der Welt. Es ist ein Märchen, daß der Verfassungsschutz die Verfassung schützt, tatsächlich ist er ein ganz stinknormaler Geheimdienst, ein ideologisches Kind des Kalten Krieges. Der Verfassungsschutz wurde ausdrücklich aufgebaut gegen diejenigen, die den Kapitalismus als allein seligmachende Form des Zusammenlebens in Frage stellen, und die Linke, solange sie tatsächlich links ist, hat das eben immer gemacht. Es ist daher klar, daß die Linke jedenfalls von diesem Geheimdienst bekämpft wird. (…) Die Rechte weiß: Faschismus ist eine Herrschaftsform des Kapitalismus, darum gibt es keinen antagonistischen Widerspruch zwischen denjenigen, die den Kapitalismus schützen wollen und denjenigen, die den Kapitalismus auch in anderer Form haben wollen. (…)

Der Verfassungsschutz ist an allen wesentlichen Schaltstellen aufgebaut worden mit Leuten von SS, von SA, von SD, organisierten und ausgebildeten Altnazis also. Warum sollte man da glauben, daß eine solche Organisation auf einmal gegen Nazis vorgeht? Sie hat in den 50er Jahren, wenn ihr euch erinnert, wesentlich beigetragen zur Verfolgung der Freien Deutschen Jugend, weil sie gegen die Wiederbewaffnung war. (…) Der sogenannte Verfassungsschutz hat wesentlich teilgehabt an der Verfolgung der KPD und auch der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die Leute, die dann in Haft saßen, saßen kurz vorher schon einmal ein. Er hat eine wesentliche Rolle gespielt bei den Berufsverboten in den siebziger und achtziger Jahren, die sich gegen Personen richteten, die vielleicht am ehesten neues Gedankengut in die Hirne der Schülerinnen und Schüler hätten bringen können. Er war wesentlich beteiligt an der bleiernen Zeit mit der Jagd auf angebliche Sympathisanten der RAF, d.h. alles, was sich für links erklärt hat oder dafür gehalten wurde. Und der Verfassungsschutz hatte ganz wesentlich zu tun mit den Personen, die Mord und Brandanschläge gegen Ausländer in den 90er Jahren durchgeführt haben, immer war diese Organisation ganz nah dran. (…)

Seit 1990 – der Verfassungsschutz ist nicht unabhängig von der Politik, die gemacht wird – wurde Rassismus nach meiner Überzeugung öffentlich gefördert, etwa mit dem neuen Asylgesetz von 1993, den Rufen »Das Boot ist voll« etc. Es gab die Anschläge in Mölln, Solingen, Lübeck, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen – nichts davon hat der Verfassungsschutz kommen sehen oder gar versucht, da irgendwas zu verhindern, er hat vor nichts gewarnt. Und nun wird mit Blick auf den NSU, der da Anfang der 90er Jahre angefangen hat, mit »Erstaunen« öffentlich erklärt, daß man sich gar nicht vorstellen kann, daß es so etwas gegeben hat. Ich sage daher: Die Öffentlichkeit wird an der Nase herumgeführt. Das, was wir in den letzten Monaten erleben an geschredderten Akten, an Heimlichtuerei, an Vorenthalten von Informationen in den Untersuchungsausschüsssen, hat sicherlich einen Grund. Und man kann nur hoffen – ich glaube es nicht ernsthaft – daß dieser Prozeß, der in München vor dem Oberlandesgericht [gegen Beate Zschäpe] geführt wird, zumindest ein wenig von der systematischen Vertuschung öffentlich macht, so daß man deutlich machen kann, in welchem Staat wir leben.

Susann Witt-Stahl:

(…) Man darf sich keine Illusionen machen. Nach 1945 ist eine wirklich konsequent antikapitalistische, antifaschistische Bewegung nicht mehr auf die Beine gekommen. Wenn man sich mal überlegt, wie inkonsequent die Klassentheorie über die Jahrzehnte verfolgt wurde, konnte man beinahe – das klingt jetzt fast ein bißchen höhnisch – sagen, es war nur eine Frage der Zeit, daß so etwas passieren mußte. Aber man muß noch eines sehen: Dieser gigantische Siegeszug des Neoliberalismus in den 80er Jahren, angefangen von den USA und Großbritannien, dann in Deutschland, der hat Spuren hinterlassen. (…)

Was hat die Linke gemacht? Sie hat sich vom Neoliberalismus jahrzehntelang vor sich hertreiben lassen, und es gibt kaum ein Stöckchen, über das sie nicht gehüpft wäre. Ich meine dabei schon die Zweieinigkeit von »Nie wieder Krieg« und »Nie wieder Faschismus«. Diese Zweieinigkeit in Teilen der Linken nicht nur aufzubrechen, sondern praktisch in ihr Gegenteil zu verkehren – die Linke als Propagandistin eines unglaublich aggressiven Bellizismus, dem wir seit den 90er Jahren wieder begegnen –, das hat schon Anfang der 90er angefangen. Die ersten Linken haben plötzlich diesen Golfkrieg für gut befunden; ich habe nicht feststellen können, daß es da erhebliche Widerworte gab. Damals war eine der Speerspitzen die Zeitschrift konkret, die das massiv vorangetrieben hat; auch das Hamburger Institut für Sozialforschung in Person Jan Philipp Reemtsmas hat sich da sehr hervorgetan. Ich habe nicht erlebt, daß es dort nennenswerte Gegenbewegungen gab.

Dann – wir haben ja das Thema Faschismus/Antifaschismus – muß man sich mal ganz genau anschauen, was eigentlich die Gründerväter des Neoliberalismus so über Faschismus gedacht und gesagt haben. Ich erinnere da an die Ikone Friedrich August von Hayek und sein berühmtes, 1944 erschienenes Buch »Der Weg zur Knechtschaft«. Darin wird der Faschismus als genuiner Sozialismus beschrieben und als Ursache dafür, daß er sich durchsetzen und dann im »Nationalsozialismus« mörderisch vollstreckt werden konnte, die zu schwache bürgerliche Herrschaft gesehen. Also genau die umgekehrte Analyse, die die Marxisten richtigerweise gemacht hatten, die im Faschismus eine Form bürgerlicher Herrschaft sehen. (…)

Wir finden inzwischen in den Diskursen eine Situation vor, daß es eine welthistorische Umschuldung von oben nach unten gibt. Aussagen wie die vom Historiker Götz Aly, daß man, um Auschwitz zu verstehen, endlich mal die Namen Krupp und Flick vergessen soll, daß man lieber auf die Arbeiter gucken soll, was die damals gemacht haben, die Unterklassen. Das findet sich in Teilen leider auch in der Antifa-Politik wieder. Und dann kommt man zu Aussagen, wie der, daß der NSU ein originäres Erbe der DDR sei, die man dann in der Jungle World nachlesen kann.

Arnold Schölzel:

Der Paragraph 129 b, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, richtet sich der Erfahrung nach vor allem gegen linke und antifaschistische Exilorganisationen, die sich gegen Rassismus in Europa wehren, aber auch auf die Situation in ihrem jeweiligen Land aufmerksam machen. Beate Zschäpe wurde aus der Haft über Hunderte Kilometer zu ihrer Großmutter gefahren, weil sie als Frau nicht isoliert werden sollte. Man befürchtete Gesundheitsschäden. Wie sieht im Vergleich dazu der Umgang z. B. mit ausländischen Gefangenen aus?

Sandra Bakutz:

Die angeklagte Person muß in Deutschland überhaupt keine Straftat begangen haben, um hier angeklagt zu werden. Es reicht, daß sie angeblich eine Organisation unterstützt, die im Ausland aktiv ist – und so kann es jedem ergehen, der sich in der Solidaritätsarbeit engagiert, daß er oder sie wegen irgendeiner Sache, die z. B. in der Türkei als »terroristisch« verfolgt wird, auch hierzulande Repressionen erfährt. Etwa wenn ich die dortigen Gefangenen unterstütze. (…) Nurhan Erdem etwa, der die Mitgliedschaft in der DHKP-C vorgeworfen wird, sitzt in der JVA Köln, im selben Knast wie Beate Zschäpe. Niemals hieß es bei ihr, sie könne nicht in Isolationshaft bleiben, weil sie eine Frau ist, weil das irgendwie gesundheitsschädigend sei. Im Gegenteil: Selbst während der Gerichtsverhandlungen wurde sie völlig abgeschottet, nicht einmal die Anwälte durften neben ihr sitzen, sondern mußten durch eine Trennscheibe zu ihr sprechen. Auch die Zuhörer wurden in diesen Prozessen als potentielle Sympathisanten schikaniert. Nurhan Erdem durfte in den vier Jahren, die sie nun schon einsitzt, kein einziges Mal von ihrem Vater besucht werden. Er habe sich in der Vergangenheit ebenfalls einschlägig politisch betätigt, hieß es. Dasselbe gilt für ihren Ehemann. Auch Briefe werden ständig zensiert. Man muß hier also von totaler Isolation sprechen.

Patrik Köbele:

Das Motto ist ja »Der Feind steht links«, und dazu möchte ich sagen: Da haben sie doch hoffentlich recht! Ich erkläre ja ganz deutlich, daß ich ein möglichst unversöhnlicher Feind des Kapitalismus bin. Daher die nette Meldung in der Essener Lokalpresse, die mich mit diesen fünf Nennungen im Verfassungsschutzbericht als Rekordhalter bezeichnet. Jetzt kann man natürlich sagen, die DKP ist klein und popelig. Aber offensichtlich schätzen die Herrschenden das zumindest ein wenig anders ein. Da mag natürlich gelegentlich auch Arbeitsplatzsicherung eine Rolle spielen, aber zumindest halten sie es für nötig, uns zu beobachten. Und das kommt ja nicht daher, daß wir ein Feind von Grundrechten wären. Also, ich glaube, der Satz von Max Reimann bei der Verabschiedung des Grundgesetzes ist heute noch aktuell. Er sagte ja damals: »Wir lehnen dieses Grundgesetz ab, weil es die Spaltungsurkunde Deutschlands ist, aber wir werden zu den ersten gehören, die die Grundrechte dieses Grundgesetzes gegen die, die es heute beschließen, verteidigen werden.«

Und das hat er ja nicht aus Pathetik gesagt, sondern in der Analyse dessen, daß hier in dieser BRD – leider seit 1990 auch auf einem größeren Gebiet – der Kapitalismus restauriert wurde, womit dem Staat die zentrale Aufgabe zufällt, die Macht-, Eigentums- und Gesellschaftsverhältnisse dieses Kapitalismus zu verteidigen. Und wenn der Staat diese Aufgabe hat – und ich glaube, er hat sie immer noch, er zeigt es uns ja auch dauernd – dann ist es natürlich logisch, daß der Feind links steht. Weil rechts: Das ist ja nicht nur etwas irgendwie Unschönes, sondern da ist immer seine Ultima ratio zu finden, wenn es um die Erhaltung der kapitalistischen Macht- und Gesellschaftsverhältnisse geht. Und rechte Parolen sind auch unter bürgerlich-demokratischen Verhältnissen ein Mittel zur Spaltung der Arbeiterklasse, ein Mittel zum Umorientieren der Arbeiterbewegung auf angebliche Feinde oder zur Bekämpfung des notwendigen Internationalismus. Wenn ich nur an diese Scheißlosungen wie »Wir zahlen für die Griechen« denke, was ja noch keine faschistische Losung ist, die aber suggeriert, wir hätten eine gemeinsame Identität oder ein gemeinsames Interesse mit den Herrschenden dieses deutschen Imperialismus. Das ist schon eine Grundlage für faschistisches Gedankengut.

Und insofern, glaube ich, ist eine entscheidende Frage, und die kam mir noch ein bißchen zu kurz in dieser Diskussion: Man kann die Klassenfrage nicht von der Faschismusfrage lösen. Und wer das tut, wird – gewollt oder ungewollt – sowohl der Stabilisierung des Kapitalismus dienen als letzten Endes auch zumindest Gefahr laufen, nicht genügend gegen Faschismus zu tun.

Das heißt jetzt gar nicht, daß ich die bürgerliche Demokratie damit geringschätzen will. Sie ist sicherlich eine der humansten Formen, mit denen der Kapitalismus seine Macht ausübt – und das er anders kann, das wissen wir. Und natürlich sind die humansten Formen auch gut, um die Kämpfe zu führen, aber wenn wir auf Grund der bürgerlichen Demokratie das tun, was er ja will, nämlich abzulenken von den tatsächlichen Macht- und Gesellschaftsverhältnissen, dann gehen wir in die Irre.

Bodo Ramelow:

Mit der Extremismusklausel – Jesse und Co. lassen grüßen – hängt diese unsägliche Ausschnüffelung der Linken zusammen. In Nordrhein-Westfalen ist es gerade passiert, daß man einer Frauenorganisation [»Courage«] mit Hinweis auf einen Eintrag im Verfassungsschutzbericht die Gemeinnützigkeit entziehen will. Und das ist der entscheidende Punkt: Mit dieser Methode »Links ist gleich rechts, und wir sind die gute Mitte« versucht man, den Antifaschismus tatsächlich komplett zu killen und wegzuknallen. Und deswegen, glaube ich, müssen wir in den Untersuchungsausschüssen weiter aufklären, was wir aufklären können.

Wir reden aber von Geheimdiensten, das heißt, wir reden ständig von gefälschten und verfälschten oder verschwundenen Akten. Trotzdem ist es gelungen, mittlerweile so jemanden wie [die Neonazikader] Kai-Uwe Trink­aus oder Tino Brandt oder Thomas Dienel öffentlich erkennbar zu machen. Plötzlich ist es gelungen, in Thüringen – zumindest im Landtag – eine Debatte über die Auflösung dieses Landesamtes zu bekommen, wo wir nicht mehr ganz alleine dastehen. Das heißt noch lange nicht, daß ein Durchbruch erfolgt ist. Und ich glaube auch nicht, daß da bei der CDU eine Erkenntnis reifen würde. (…)

Wir müssen das, was heute in Magdeburg geschehen ist, oder das, was in Dresden war, weiter exemplarisch für uns gemeinsam entwickeln, gemeinsam Widerstand leisten gegen die braune Flut und damit auch deutlich machen: Immer dann, wenn Polizei und Geheimdienste gegen uns eingesetzt werden, werden sie eingesetzt, um Rechte zu schützen. Nicht unsere Rechte, sondern um Nazis zu schützen. (…)

Gabriele Heinecke hat gesagt, sie hofft, daß mit dem Prozeß Zschäpe vielleicht etwas mehr Licht ins Dunkel kommt. Ich habe ein wenig das Gefühl, daß der Prozeß als Inszenierung dazu führen soll, daß sie nur wegen der Katze und dem kaputten Haus schuldig gesprochen wird. Um damit davon abzulenken, was hier insgesamt an mörderischer Barbarei vollzogen worden ist. Wo sind die Waffen hergekommen, wer hat die Waffen geholt, wer hat sie bezahlt, wer hat die Leute eingesetzt – und es gibt viel zu vieles, was ungeklärt ist. Die Hinrichtung der Polizistin Michèle Kiesewetter ist bis heute in keiner Form geklärt. Auch gehört untersucht, daß in ihrem Polizeieinsatzzug zwei Ku-Klux-Klan-Leute waren, deren Verbindungen bis nach Thüringen gehen, und der KKK-Chef öffentlich sagen darf, sie hatten so viele Polizisten, daß sie überlegt hatten, eine eigene KKK-Gruppierung aufzubauen: das brennende Kreuz in Kahla in Thüringen – da muß man wissen, daß in Kahla Karl-Heinz Hoffmann von der nach ihm benannten Wehrsportgruppe Hoffmann aufwuchs. Also die Frage NSU und DDR – da kann ich nur sagen, wir haben alle westdeutschen Nazis in Thüringen abgefaßt, die kamen direkt mit der Grenzöffnung, und zwar die Hardcore-Abteilung. (…)

Ich lasse mich nicht davon abbringen, daß es bei diesen gesamten Maßnahmen eine ordnende Hand gibt. Und die Frage ist, ob wir mehr erkennen über die ordnende Hand, die diese Dinge – auch das Schreddern, das Nachfragen, das Beschützen –, all diese Dinge mitgewußt, mitgetan und die hinterher bei der Vertuschung mitgewirkt hat. Darum geht es mir jedenfalls, diesen Teil immer wieder kritisch zu hinterfragen und nicht abzutun mit dem Hinweis auf irgendwelche verwirrten jungen Leuten, die da zufällig Nazis geworden sind, hinterher schwer bewaffnet waren, mit Sprengstoff hantiert haben, in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa – wir reden von einem internationalen Netzwerk."




Quelle: "junge Welt" vom 14. Januar 2013



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