Sonntag, 11. Juni 2017

Erfolg der Linken

Wahlen in Großbritannien

Klare, selbstbewusste linke Politik ohne Anbiederung an eine wie auch immer geartete »Mitte« kann erfolgreich sein. Das haben Jeremy Corbyn und seine Verbündeten im britischen Wahlkampf bewiesen. Die Hindernisse waren riesig. Eines davon war nicht zuletzt der Großteil der eigenen Parlamentsfraktion.

Zahlreiche Labour-Abgeordnete hatten es abgelehnt, ihren Parteichef in ihren Wahlkreisen auftreten zu lassen. Darunter zum Beispiel die Abgeordnete Joan Ryan im Londoner Wahlkreis Enfield North. Sie verbot ihren Wahlhelfern das Verteilen des von Corbyn ausgearbeiteten Wahlprogramms und behauptete wiederholt, Theresa May sei viel populärer.

Dabei musste man am Vorabend des Wahltages nur nach Islington schauen, dem Wahlkreis des Labour-Parteichefs. Als Corbyns Wahlkampfbus dort eintraf, ereigneten sich Szenen, als habe der FC Arsenal gerade den Europapokal nach London geholt. Tausende säumten die Straßen, »Corbyn, Corbyn« Sprechchöre überall. Ähnliches hatte sich in den Tagen zuvor im ganzen Land abgespielt.

Die Kürzungspolitik der vergangenen sieben Jahre ist abgewählt worden. Der Tory-Regierung wird in den nächsten Monaten ein wesentlich rauherer Wind entgegenwehen als bislang. Mit Protesten und Streiks ist zu rechnen. Neuwahlen in relativ kurzer Zeit sind durchaus möglich.

Theresa Mays Mantra der vergangenen Wochen war es, für »starke und stabile« Führung zu sorgen. Damit hat es sich nun erledigt. Unter der Oberfläche haben die lange unterdrückten Flügelkämpfe der verschiedenen miteinander verfeindeten parteiinternen Fraktionen wieder begonnen zu toben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese offen bemerkbar machen.

Die Herausforderung für Corbyn und Co. besteht nun darin, keinen Meter, keinen Schritt zurückzuweichen. Unter Corbyns jugendlichen Unterstützern und innerhalb der Gewerkschaftsbewegung wächst die Erkenntnis, dass eine Auseinandersetzung mit dem blairistischen Flügel der Partei notwendiger denn je ist. Wenn die Rechten in Labour versuchen sollten, in den nächsten Tagen gegen Corbyn zu agieren, werden Zehntausende bereitstehen, ihn zu verteidigen. Damit diese Stimmung anhält, muss Corbyn jeden Versuch abwehren, sein Wahlprogramm aufzuweichen.

John McDonnells Vorstoß, die Formierung einer Labour-Minderheitsregierung zu fordern, war ein Schritt in die richtige Richtung. Doch es liegt auch an den Zehntausenden, die zu den Wahlkampf­events gekommen sind, sich jetzt politisch zu organisieren und den Kampf für die Umsetzung des Corbyn-Programms auf die Straße zu tragen. Und es liegt an den Gewerkschaften, dem mit Streiks das nötige Rückgrat zu geben.

Die Wahlen vom 8. Juni haben ein neues Kapitel der britischen Geschichte aufgeschlagen. Der Mythos, dass große Teile der britischen Arbeiter nach rechts gerückt seien, ist widerlegt worden.

Von Christian Bunke, Manchester
aus „junge Welt“ vom 10.06.2017

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