Donnerstag, 9. Februar 2017

Neoliberaler Marktschreier

Foto: junge Welt
Klaus Wagener zum neuen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz

SPD-Vor­sit­zen­der mag ja „das schöns­te Amt nach Papst“ sein, wie der Franz aus Sun­dern mein­te, aber so recht lange hat es nach den Tagen von Willy Brandt, ge­nau­er seit 1989, dort nie­mand mehr ge­hal­ten. Die Namen Vogel, Eng­holm, Rau, Schar­ping, La­fon­tai­ne, Schrö­der, Mün­te­fe­ring, Platz­eck, Beck, Stein­mei­er, Ga­briel fül­len eine üp­pi­ge Liste. 

Viele, als Ret­ter aus höchs­ter Not ge­fei­ert, ver­schwan­den dann, teil­wei­se nach we­ni­gen Mo­na­ten, wie­der in der Ver­sen­kung. Auch Sig­mar Ga­bri­el hat nun, nach ein­sa­mer Ent­schei­dung von wem auch immer und mit sie­ben Mo­na­ten Au­ßen­amt als Trost­pflas­ter, die­sen Weg an­ge­tre­ten. Es gab Zei­ten, da mach­ten Jusos damit Re­kla­me, dass die SPD im Ge­gen­satz zu den bol­sche­wis­ti­schen Kom­man­do­ap­pa­rat­schiks eine de­mo­kra­ti­sche Par­tei sei.

Nun hof­fen die Ge­nos­sen, die See­hei­mer mehr, an­de­re we­ni­ger, auf Mar­tin Schulz. Wie ver­zwei­felt muss man sein? Schulz ist ein po­li­tisch Gest­ri­ger. Er ver­kör­pert die markt- und spar­wü­ti­ge Brüs­se­ler Bü­ro­kra­tie wie kaum ein zwei­ter. Er steht – Ger­ma­ny first! – wie al­len­falls noch Wolf­gang Schäu­b­le, für eine Agen­da-be­waff­ne­te, deutsch­do­mi­nier­te EU-Po­li­tik der Mas­sen­ver­ar­mung und des na­tio­na­len Aus­ver­kaufs, wel­che die oh­ne­hin schwe­re Krise ver­tieft, Mil­lio­nen Men­schen ins Elend ge­sto­ßen, die eu­ro­päi­schen Län­der ein­an­der ent­frem­det und letz­lich zum Brex­it ge­führt hat. Mit Hilfe des Wat­schen­manns Trump soll diese Po­li­tik wei­ter ra­di­ka­li­siert wer­den.

Konn­te Sig­mar Ga­bri­els po­li­ti­sche Un­si­cher­heit und Wan­kel­mü­tig­keit noch als eine ge­wis­se re­flek­tie­ren­de Nach­denk­lich­keit (fehl)in­ter­pre­tiert wer­den, wel­che, wenn schon ohne Kon­zept, sich der Pro­ble­me der sie­chen SPD zu­min­dest be­wusst ist, so ist Mar­tin Schulz’ Rhe­to­rik von jener be­den­ken­los schlich­ten Selbst­über­zeu­gung er­füllt, wie sie im me­dia­len Wett­streit mit den Frau­ke Pe­trys der Re­pu­blik für wirt­schaft­li­be­ra­le Durch­hal­te­krie­ger in einer der größ­ten Kri­sen des Ka­pi­ta­lis­mus of­fen­bar für exis­ten­ti­ell er­ach­tet wird. Mit Kat­rin Gö­ring-Eckardt, Cem Öz­de­mir und Mar­tin Schulz ist die Fata Mor­ga­na R2G nicht nur nu­me­risch, son­dern auch po­li­tisch er­le­digt.

Die SPD ist einen lan­gen Weg ge­gan­gen. Von der Ar­bei­ter­par­tei, wel­che noch 1912 in Basel statt in den Krieg zu zie­hen den Ka­pi­ta­lis­mus stür­zen woll­te, zu den so­zi­al­chau­vi­nis­ti­schen, „dum­men Kerls“ der Kriegs­kre­di­te, zu den wil­li­gen No­s­kes und Zör­gie­bels, die dann doch der Blut­hund sein woll­ten, zu Kurt Schu­ma­cher, der, Dach­au kaum ent­ron­nen, den Haupt­feind wie­der in den „rot­la­ckier­ten Fa­schis­ten“ sah, bis zu Hel­mut Schmidt, der sich zu­gu­te hielt, die Große Al­ter­na­ti­ve mit dem ato­ma­ren Mes­ser an der Kehle zur Auf­ga­be ge­zwun­gen zu haben. Was nach ’89 kam, war Ab­wick­lung, auch wenn es die Ge­nos­sen nicht be­merkt haben.

Be­merkt hat­ten es Ger­hard Schrö­der und Tony Blair. Ihr „Drit­ter Weg“ führ­te zu Ries­ter, Hartz und Hin­du­kusch und war nicht we­ni­ger als der hem­mungs­lo­se Aus­ver­kauf des Re­for­mis­mus an die Heils­ver­spre­chen der Markt­gläu­bi­gen und ihrer Pro­fi­teu­re. Mit dem Un­ter­gang der Sys­tem­her­aus­for­de­rung war auch die Exis­tenz­be­rech­ti­gung des staat­lich ali­men­tier­ten Re­for­mis­mus ent­fal­len. Die alte SPD ist tot. Schrö­der, Hartz, Ries­ter & Co. hat­ten aus ihrer Be­stat­tung noch ein­mal ein Ge­schäft ge­macht.
 

Seit­her führt die SPD ein Zom­bie-Da­sein, das sich in ab­stei­gen­der Linie al­len­falls noch aus der Nost­al­gie speist. Der Ver­schleiß an Füh­rungs­per­so­nal spricht für sich. Re­for­mis­mus ist nicht mehr auf dem an­ti­kom­mu­nis­ti­schen Ti­cket gra­tis zu haben, son­dern muss im Klas­sen­kampf von unten hart er­kämpft wer­den, zumal in einer sich trotz Zen­tralbank-Billionen wie­der zu­spit­zen­den Welt­wirt­schafts­kri­se. Der Kampf ums Tee­was­ser als re­vo­lu­tio­nä­re Dis­zi­plin, das ist ein der SPD seit 1914 we­sens­frem­der Ge­dan­ke, der viel­leicht einem Je­re­my Cor­byn kom­men mag, aber mit Si­cher­heit kei­nem Mar­tin Schulz.


So wird die Un­to­te viel­leicht noch ei­ni­ge Zeit als Mehr­heits­be­schaf­fe­rin für die Auf­recht­er­hal­tung der neo­li­be­ra­len Agen­da ge­braucht, bis diese Auf­ga­be von den Grü­nen (viel­leicht im Ver­ein mit der Ori­gi­nal-FDP) und/oder der AfD über­nom­men wer­den kann. Nun ist es Mar­tin Schulz – ir­gend­je­mand muss ja das Licht aus­ma­chen.

UZ-Ausgabe vom 3. Februar 2017

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