Sonntag, 12. Februar 2017

Imperialismus auf Filzlatschen

Bisher hat Frank-Walter Steinmeier die deutsche Großmachtpolitik organisiert – nun darf er sie schönreden

Mit der Behauptung, sie wollten „mehr Demokratie wagen“, kamen die Sozialdemokraten mit Willy Brandt zum ersten Mal ins Kanzleramt. Am 26. Januar verabschiedete sich Frank-Walter Steinmeier vor dem Bundestag ins Schloss Bellevue. Am heutigen Sonntag wählte ihn die Bundesversammlung zum Präsidenten. In seiner letzten Rede als Außenminister vor dem Parlament bilanzierte er – Thema war der Bundeswehreinsatz im Irak: „Ja, wir haben mehr Verantwortung gewagt!“

Mit „Mehr Demokratie wagen“ bereitete Willy Brandt das vor, was die SED „Konterrevolution auf Filzlatschen“ nannte: Den aggressiven Adenauer-Antikommunismus ersetzte er durch einen erneuerten, zeitgemäßen, als Dialog verkleideten Antikommunismus. Mit „Verantwortung wagen“ meint Steinmeier eine zeitgemäße, mit Diplomatie verkleidete Großmachtpolitik, die freundlicher daherkommt als ihre Vorgänger mit SS-Totenkopf oder Pickelhaube: Imperialismus auf Filzlatschen.

Was die neue Stärke des deutschen Imperialismus möglich macht, ist, dass die deutschen Konzerne effizient produzieren und ihren Beschäftigten wenig zahlen. Deutschland ist, verglichen mit der Produktivität, ein Niedriglohnland. Das lässt die deutsche Exportwalze so rollen, dass der Euroraum Deutsch spricht. Bevor Steinmeier unter der Kanzlerin Merkel die auswärtigen Interessen der deutschen Monopole zu vertreten hatte, kehrte er unter Kanzler Schröder sozialen Schnickschnack aus: Als Schröders Kanzleramtschef gestaltete Steinmeier die Offensive zur Massenverarmung mit, der die Regierung den Namen „Agenda 2010“ gab. Die niedrigen Löhne ermöglichen die Exporte, die deutsche Großmachtpolitiker von „Verantwortung“ träumen lassen.

„Krisen und Konflikte – Welt aus den Fugen – das haben Sie von mir in den letzten drei Jahren so oft gehört, dass manche das schon mitsprechen können“, sagte Steinmeier in seiner Rede vor dem Bundestag. Das Bild, das er von der Welt zeichnet, sieht ungefähr so aus: Islamisten bedrohen unsere Werte, die Amerikaner wählen einen unberechenbaren Präsidenten, Putin schickt grüne Männchen in die Nachbarländer. Das wehrhaft-demokratische Deutschland steht als Fels in der Brandung. Steinmeier ist sich der geschichtlichen Tragweite bewusst – in seinen Worten: Unser Land trägt „ja ständig einen nicht gerade federleichten historischen Rucksack mit sich“ herum. Aber bei aller Zurückhaltung: Wenn die Welt aus den Fugen gerät, ist Deutschland gefragt – als Verhandler, als Strippenzieher, als Besatzungsmacht.

Foto: UZ
Im vergangenen Sommer nannte Steinmeier die NATO-Manöver in Osteuropa „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“, man müsse mit Russland reden. Natürlich hat auch die Bundeswehr Soldaten ins Baltikum geschickt, um mit dem Säbel zu rasseln. Aber Steinmeier schickte noch Diplomaten mit.

„McDonald’s kann nicht gedeihen ohne McDonnell Douglas“, der der US-Armee ihre Kriegsflugzeuge produziert, beschrieb der US-Ideologe Thomas Friedman Ende der 90er Jahre die Funktionsweise des US-Imperialismus. Die deutsche Bundeswehr kann nur einmarschieren, wo deutsche Exporte und deutscher „Dialog“ ihr den Weg bereitet haben – so grenzte Steinmeier seine Außenpolitik vom „historischen Rucksack“ ab.

Ab dem 18. März hat Steinmeier die Aufgabe, als Staatsoberprediger zu verkünden, warum wir im besten aller Staaten leben. Ein Bundespräsident müsse ein „Mutmacher“, kein „Vereinfacher“ sein, sagte er im November. Steinmeier wird ein Präsident werden, der Ministern, Unternehmern und Generälen den Mut zu Sozialabbau und „Verantwortung“ zuspricht – und die arbeitenden Menschen vor der Vereinfachung warnt, dass man gegen dieses System vielleicht etwas unternehmen könne.

Von Olaf Matthes


Ein entschiedenes „Weiter so“

Uwe Koopmann zum künftigen Bundespräsidenten Steinmeier

Am heutigen Sonntag wählte die Bundesversammlung Frank-Walter Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition zum zwölften Bundespräsidenten. Damit wird der Mann Staatsoberhaupt, der am 27. Januar als Außenminister Platz machte für Sigmar Gabriel, der wiederum als Wirtschaftsminister zugunsten von Brigitte Zypries zurücktrat und als SPD-Vorsitzender zum Vorteil von Martin Schulz die Segel strich. Ein Personalkarussell mit machtpolitischen Implikationen.

Dank des partiellen politischen Gedächtnisschwundes der auf eine einmalige Wahl fixierten Bundesversammlung ist nicht mit der geringsten Überraschung zu rechnen. Steinmeier ist als Kandidat des staatsmonopolistischen Kapitalismus genau der richtige Mann. Er verfügt über Erfahrung. Er ist in der Lage, politische Interessen gegen die Mehrheit des Volkes zur Geltung zu bringen und wie bei der Agenda 2010 und der „Hartz-IV-Reform“ durchzusetzen. Damit waren entscheidende wirtschafts- und sozialpolitische Weichen gestellt. Auch die Veränderung des Renten- und des Gesundheitssystems tragen seine Handschrift. Die katastrophalen Auswirkungen zeigen sich nicht nur in den Wartezimmern der Ärzte, bei den Zuzahlungen in den Apotheken oder beim Zulauf zu den Suppenküchen.

Diese Verhältnisse mussten innen- und außenpolitisch abgesichert werden. Steinmeier war als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt verantwortlich für die Arbeit hinter den Kulissen. Er gehörte zu Schröders Krisenstab. Im Hinblick auf die Weitergabe von erspähten und bestellten Daten gibt es bis heute keine Aufklärung.

Von Krisen und Sicherheit hat er seine eigene Vorstellung. So kümmerte er sich nicht um die Freilassung von Murat Kurnaz aus dem US-Lager Guantánamo. Zwar lehnte die Regierung Schröder den Irak-Krieg ab, er aber ließ es zu, dass der BND mitmachte. Die Zusammenarbeit von NSA und BND fällt ebenfalls in seinen Verantwortungsbereich. Schließlich lehnte er es ab, den Völkermord an den Armeniern als solchen zu bezeichnen, da damit der Holocaust relativiert werde.

Mit ihren Kandidaten, die die SPD selbst fesch „Stones“ nannte, hatte sie kein Glück. Beide von neoliberalem Holz, beide vom Volk nicht wirklich akzeptiert. Peer Steinbrück holte 2005 in NRW das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1954. 2009 wurde die SPD – mit Kanzlerkandidat Steinmeier – bei der Bundestagswahl mit 23 Prozent der Zweitstimmen abgestraft. Nach der Bundestagwahl 2013 ging die SPD in Berlin die Große Koalition mit der CDU ein. Sie degradierte sich zum Juniorpartner. Steinbrück bestach danach durch famose Haupt- und Nebeneinkünfte. Steinmeier wurde Außenminister.

In dieser Funktion, die gemeinhin vielfach mit dem Wohlwollen der Wähler verbunden wird, konnte Steinmeier punkten. Bei der Sonntagsfrage hängte er bald die Konkurrenz aus der CDU ab. Auch aus der SPD: Parteichef und Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel hatte keine Chance gegen ihn. Steinmeier kletterte auf mehr als 75 Prozent Zustimmung, weit mehr als Wolfgang Schäuble und Merkel.

Steinmeier steht für ein entschiedenes „Weiter so!“ Interventionen zu einem Umbau der Gesellschaft, zu einer Entlastung der ärmeren Bevölkerung, zu einer Belastung der Reichen sind von ihm nicht wirklich zu erwarten. Wie sollte gerade er sich überzeugend von der Agenda 2010 distanzieren?

Ein anderes Bild gibt ein anderer Bewerber für das Amt des Bundespräsidenten ab: Prof. Dr. Christoph Butterwegge, aufgestellt von der Linkspartei. Er ist chancenlos, aber symbolträchtig. CDU/CSU und SPD kommen in der Bundesversammlung für Steinmeier zusammen auf rund 950 Stimmen, die Partei Die Linke auf knapp 100. Butterwegge kennt als Armutsforscher die Verhältnisse in diesem Land und er kennt und benennt die Folgen der „erfolgreichen“ Politik der Steinmeiers.

aus „UZ – unsere zeit – Zeitung der DKP“ vom 10. Februar 2017

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