Montag, 6. Juni 2016

Ja, ist denn schon Weihnachten?

Uniformfetischismus, Geschichtsklitterung, »fehlende intellektuelle Tiefe«: Danke, Joachim Gauck. Für fünf Jahre mit klaren Feindbildern

Monatelang hat Joachim Gauck das Land auf die Folter gespannt. Tritt der Präsident zu einer zweiten Amtszeit an? Festlegen wollte er sich lange nicht, aber gern darüber reden. Nun weiß die Welt Bescheid – nein, er werde nicht erneut kandidieren, so das Staatsoberhaupt am Montag in einer Erklärung – und die Diskussion verlagert sich: Wer wird Nachfolger? Darüber kann bis zum Frühjahr 2017 trefflich gestritten werden.

Das ist taktlos, denn noch sitzt Gauck im Schloss Bellevue, während das politische Berlin in einen unwürdigen Schacher um seinen Posten verfällt. Dabei wäre dieser Zeitpunkt der richtige, um das Wirken des Mannes, der ein eigenes Verb geprägt hat, Revue passieren zu lassen. Vor seiner Zeit als Präsident saß Gauck einem Amt vor, das zum Synonym für modernes Denunziantentum wurde – der »Stasi-Unterlagenbehörde«. Wer zu DDR-Zeiten mit den Staatsorganen zu tun hatte, konnte nach 1990 oft seine Sachen packen. Zigtausende Ostdeutsche waren auf diese Art »gegauckt« worden.

Im Jahr 2000 gab der Chefinquisitor den Posten ab. Die folgenden Jahre verdingte er sich als Berufsredner, tingelte durch die Provinz und hielt verbissen antikommunistische, deutschtümelnde Reden – klassische Karriere als Rechtspopulist, würde man heute sagen. Die Oder-Neiße-Grenze, für ihn ein sowjetisches Verbrechen: »Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten.«

Kein Wunder, dass die Erwartungen hoch flogen, als es Gauck, nach einer erfolglosen Kandidatur im Jahr 2010, nach zwei Jahre noch ins Amt schaffte. Die Junge Freiheit jauchzte: »Die verbliebenen Rechten und Konservativen (…) erhoffen sich, dass Gauck den Staatsschlitten bei rasender Fahrt von der tödlichen Piste bugsiert.«

Diese Erwartung konnte er nicht erfüllen. »Fehlende intellektuelle Tiefe«, attestierte ihm Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Die Zielgruppe, die der gelernte Pastor jahrelang als Politprediger unterhalten hatte, ist oft direkt zur AfD oder zu Pegida weitergezogen – Gauck aber saß in Amt und Würden fest. So blieb ihm nur, die »Glückssucht« der Bevölkerung zu geißeln und klarzumachen, wessen Pfaffe er nun ist: der der Garnison. Die Bundeswehr, sie sollte Gaucks späte, große Liebe werden.

Die Linke, die wohl vergessen hat, dass die Funktion des 2010 von Grünen und der SPD aufgestellten Gauck nur die eigene Demütigung war, schwelgt in Blütenträumen. Die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger haben am Montag die beiden Parteien aufgefordert, »einen gemeinsamen Kandidaten« zu benennen. Dominic Heilig, Sprecher des »Forums demokratischer Sozialismus« in Der Linken, hofft im Neuen Deutschland auf ein »Wunder«.

Wenn es mit der Regierung nicht mehr klappt, dann vielleicht wenigstens mit dem Grüßaugust.

Von Sebastian Carlens
aus junge Welt vom 07.06.2016

Keine Kommentare: