Mittwoch, 15. Juni 2016

DKP zu den Tarifkämpfen 2016

Aus dem Referat des DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele auf der 4. Tagung des Parteivorstands:

Für rund 15 Prozent aller in der Bundesrepublik bestehenden Arbeitsverhältnisse, also für rund sechs Millionen Beschäftigte, haben die beiden größten Gewerkschaften Ergebnisse erzielt. Ver.di forderte für den Bereich von Bund und Kommunen 6 Prozent und die IG Metall für den Bereich der Metall- und Elektroindustrie 5 Prozent Lohnerhöhung bei jeweils einer Laufzeit von zwölf Monaten.

Ver.di erzielte einen Abschluss in Höhe von 2,4 Prozent ab dem 1. März 2016 und 2,35 Prozent ab dem 1. Februar 2017 mit einer Laufzeit von 24 Monaten. Leider hält der Medienunsinn nun auch in den Gewerkschaften Einzug. Es wurden nicht 4,75 Prozent ausgehandelt, sondern im Verhältnis zur Forderung von 6 Prozent auf 12 Monate sind es gerade mal 2,4 Prozent. Die lange Laufzeit, mit einer weiteren Erhöhung nächstes Jahr, macht das Ganze für die Unternehmer kalkulierbarer und für die Beschäftigten riskanter. 

Erfolgreich abgewehrt werden konnte der Angriff auf die betriebliche Altersversorgung, die letztlich zu einer Rentenkürzung geführt hätte. Ein weiteres wesentliches Ergebnis dieser Tarifverhandlung ist eine neue Entgeltordnung, mit der rund 1.800 von rund 4.000 Tätigkeitsmerkmalen neu bewertet werden. Damit wurde zunächst erfolgreich ein Abwehrkampf insbesondere bei den Kommunen geführt, die Verschlechterungen gefordert hatten. Die mit der Entgeltordnung entstehenden Mehrkosten werden jedoch paritätisch aufgebracht. Anders ausgedrückt: es findet eine Umverteilung innerhalb des bestehenden Vergütungssystems dadurch statt, dass ver.di sich bereit erklärte, die Jahressonderzahlung um 4 Prozent abzusenken und drei Jahre lang nicht zu erhöhen. Damit werden immerhin die Mehrkosten zur Hälfte durch Verzicht der Beschäftigten kompensiert. In einem weiteren wichtigen Bereich konnte eine Einigung nicht erzielt werden; nämlich in einer tariflichen Ausschlussregelung für sachgrundlose Befristungen.

Die IG Metall erzielte einen Abschluss in zwei Schritten in Höhe von 2,8 Prozent ab 1. Juli 2016 und 2 Prozent an dem 1. April 2017 sowie eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro. Die Laufzeit beträgt 21 Monate. Auch das hat mit 4,8 Prozent, wie es verkauft wird, nichts zu tun. Als ein Erfolg muss erwähnt werden, dass die IG Metall eines ihrer Ziele erreicht hat, nämlich wieder mehr Beschäftigte in den Tarifvertrag zu holen. Zum ersten Mal bezog sie in der Auseinandersetzung auch Betriebe in die Tarifrunde ein, die keinen Tarifvertrag haben. Immerhin konnte die IG Metall seit Anfang des Jahres in 40 Betrieben einen Tarifvertrag abschließen, während in etwa 100 Betrieben derzeit noch Verhandlungen laufen. Kritisch zu betrachten ist die im Tarifvertrag vereinbarte Regelung, dass die Betriebe bei den Tarifvertragsparteien im Fall einer wirtschaftlichen Schieflage eine Abweichung von der Tariferhöhung beantragen können. Zwar ist diese begrenzt, sie bedeutet aber schon jetzt einen Lohnverlust, wenn eine solche Schieflage in der Zukunft eintritt. Oder anders ausgedrückt bei wirtschaftlichem Misserfolg muss die Arbeiterklasse bluten, weniger jedoch das Kapital. Vor dem Hintergrund, dass allein die börsennotierten Unternehmen in 2015 einen Gewinn vor Zinsen und Steuern von 41,3 Milliarden Euro erzielt haben, ist ein Abschluss mit einem Gegenwert von gut geschätzt 4,5 Milliarden Euro nicht gerade als besonders erfolgreich einzuschätzen. Betrachtet man die Reallohnverluste vergangener Jahre, erinnert man sich daran, dass früher die Faustformel galt: Inflationsausgleich plus Produktivitätssteigerung plus Umverteilung, dann sind wir davon sehr weit weg.

Diese beiden Tarifrunden liefern relativ zeitgleich ab. Noch in der letzten Parteivorstandstagung hatten wir darauf hingewiesen, dass diese Situation die Möglichkeit bietet, dass es zu gemeinsamen Aktionen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Metall- und Elektroindustrie kommen müsste. Um wie viel besser die Ergebnisse gewesen wären, können wir nur erahnen.

Liebe Genossinnen und Genossen,

im Gesundheitswesen wird mit den Kämpfen um Personalbemessung endlich gefragt, wie viel Personal für ein Gesundheitswesen notwendig ist, das für Patienten und Beschäftigte erträglich ist – anstatt zu fragen, was sich rentiert. Ein wichtiger Schritt.

Sehen wir uns hierzu zunächst die Ergebnisse von drei Untersuchungen an: 2013 wurde in 200 Krankenhäusern durch ver.di ein Personalcheck durchgeführt. Die Beschäftigten wurden befragt. Das Ergebnis ist so erschütternd wie eindeutig: hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Beschäftigten und Krankenhäuser fehlen bundesweit 162.000 Vollzeitstellen, das sind knapp 20 Prozent aller Vollzeitstellen in Krankenhäusern in Deutschland. Auf die Pflege entfallen 70.000, unter allen anderen Dienstarten, also zum Beispiel im ärztlichen Dienst, im medizinisch-technischen Dienst oder in der Haustechnik 92.000 Stellen. 2015 besuchte ver.di 237 Krankenhäuser mit insgesamt etwa 2.800 Bereichen, in denen regelmäßig Nachtdienst geleistet wird, damit wurden etwas mehr als 11 Prozent aller Kliniken erreicht. Und auch hier sind die Ergebnisse mehr als erschreckend. Auf fast 56 Prozent der Stationen arbeitete eine Fachkraft allein, sie musste durchschnittlich 25 PatientInnen versorgen. Knapp 60 Prozent der Beschäftigten zeigten auf, dass durch mehr Personal gefährliche Situationen hätten verhindert werden können. Mehr als drei Viertel aller Befragten gaben an, in der letzten Nachtschicht keine ungestörte Pause gehabt zu haben. Und auch der Fachstandard, dass eine Intensivpflege-Fachkraft zwei Patientinnen betreut, wird nur auf wenigen Intensivstationen (8 Prozent) eingehalten. Auf rund 92 Prozent der Stationen musste eine Pflegekraft drei und mehr Patientinnen betreuen.
Nur wenige Tage alt ist die aktuellste Untersuchung. Hier wurden die Beschäftigten in 295 Krankenhäusern zum Thema Überstunden befragt. Das Ergebnis: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern schieben 35,7 Millionen Überstunden vor sich her, also 32,5 Überstunden pro Person. Ursache ist ein Personalmangel, der dazu führt, dass zur Aufrechterhaltung der Versorgung im Durchschnitt vier Überstunden pro Beschäftigten schon im Voraus in die Dienstpläne eingestellt werden. Hinzu kommen zwölf unvorhersehbare Überstunden pro Beschäftigten und Monat. Anders ausgedrückt: die Pflegekräfte müssen 10 Prozent ihrer Arbeitszeit Monat für Monat zu einem nicht planbaren Zeitpunkt erbringen.

Ohne das zusätzliche Engagement des Pflegepersonals würde das System Krankenhaus nicht mehr funktionieren. Nach Berechnungen von ver.di sind 17.800 zusätzliche Stellen in den Krankenhäusern notwendig, um Überstunden dauerhaft zu vermeiden. Gleichzeitig wird das Pflegestellenförderprogramm der Bundesregierung kritisiert, mit dem in den nächsten Jahren lediglich nur bis zu 6.200 zusätzliche Stellen finanziert werden sollen.

Für diese Missstände können mindestens zwei Ursachen genannt werden: Zum einen die Einführung von Fallpauschalen (DRGs), in deren Folge vor allem die Anzahl der Pflegekräfte in den Krankenhäusern gesunken, die Fallschwere („Wie krank sind die Patientinnen?“) und die Fallanzahl („Wie viele Patientinnen werden gepflegt?“) jedoch gestiegen ist. Zum anderen die Privatisierung von Krankenhäusern, die dazu führt, dass die Krankenhäuser im Wettbewerb untereinander Profite erwirtschaften müssen, und das unter anderem durch Personalabbau und Fachkräfteschwund erreicht wird.

Aufgrund der dargestellten erschreckenden Ergebnisse will ver.di jetzt für einen „Tarifvertrag Entlastung“ die Weichen für einen Arbeitskampf im Herbst diesen Jahres stellen. Die Kolleginnen und Kollegen bei der Charité haben einen ersten wichtigen Erfolg errungen und wichtige Erfahrungen gesammelt. Im Saarland bereitet ver.di sich auf einen Kampf vor, der die einzelbetriebliche Ebene verlässt und alle 21 Krankenhäuser umfasst – eine wichtige neue Qualität, die das Ausspielen untereinander verhindern kann. Neue Erfahrungen werden mit der Verwurzelung des Kampfes an der Basis gemacht. Über Tarifberater werden auch (noch) unorganisierte Kolleginnen und Kollegen einbezogen. In Hamburg wurde Anfang dieser Woche durch den ver.di-Vorstand beschlossen, initiativ zu werden. Es soll eine Bewegung durch ein breites Bündnis bzw. Netzwerk bis weit in bürgerliche Gesellschaftsschichten und unter Einbindung bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vorangetrieben werden. Diese Bewegung soll einerseits das öffentliche Klima positiv beeinflussen, und andererseits die Tarifauseinandersetzung der Gewerkschaft aktiv begleiten.

Da bietet sich unser Sofortprogramm doch nicht nur an, es passt wie die Faust aufs Auge. Wir fordern die Einstellung der fehlenden 162.000 Stellen im Gesundheitswesen, wir fordern die Beseitigung des Investitionsstaus in den öffentlichen Krankenhäusern, wir sagen, wo das Geld zu holen ist. Damit können wir wunderbar einsteigen und wir können weitergehen. Gesundheit darf keine Ware sein – diese Diskussion muss beginnen.

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