Samstag, 4. Juli 2015

Hafenstraße, Bornkamp, Kücknitz – Wehret den Anfängen!

Der Rassismus aus der „Mitte der Gesellschaft“ ist die Saat für faschistische Entwicklungen

Wieder einmal ist das öffentlich vorgetragene Entsetzen groß, nachdem auf eine im Bau befindliche Flüchtlingsunterkunft in Lübeck-Kücknitz ein Brandanschlag verübt wurde. NPD-Aufkleber und Parolen am Ort des Geschehens weisen auf angeblich „verirrte Rechtsradikale“ – „eine Minderheit“ – hin. Aber ist diese Tat wirklich nur dem Handeln „einiger Verwirrter“ zuzuschreiben?

Zugegeben, die Schleswig-Holsteinische Landesregierung und die SPD liefern mit ihrem starsinnigen Beharren auf einer völlig überdimensionierten Erstaufnahmeunterkunft für Flüchtlinge am Bornkamp allen Vorschub für berechtigten Widerspruch. Gerade aus Gründen der besseren Eingliederung von Flüchtlingen in ihre Umgebung wären mehrere kleinere Aufnahmeeinrichtungen in Lübeck sinnvoll.

Dennoch hat der Widerstand am Bornkamp nicht nur solche sachlichen Argumente vorgebracht. Vielmehr haben auch hier rassistische Vorurteile über angeblich „kriminelle Ausländer“ und Sorge davor, dass „die Kinder nicht mehr unbehütet spielen könnten“ Eingang in die Argumentation gefunden. Der alltägliche Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und bietet den Nährboden für die gar nicht mehr so wenigen Brandstifter, wie das Beispiel Escheburg zeigt. Der dortige Brandstifter war ja ein gern gesehener Biedermann.

Wie schon in den 1990iger Jahren, als in der Lübecker Hafenstraße und anderswo in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brannten und Menschen starben, geht solchen Anschlägen ein politisch und medial (Bild) geschürtes rassistisches Klima aus der „Mitte der Gesellschaft“ voraus. Der bis heute unaufgeklärte Brandanschlag auf die Asylunterkunft in der Hafenstraße mit 10 Toten und 38 zum Teil lebensgefährlich Verletzten jährt sich im nächsten Januar zum 20. Mal. Lübeck ist dabei nur ein Beispiel von zahllosen Anderen in der BRD. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts war es die Diskussion um das Asylrecht, heute ist es die geschürte Islam-Phobie.

Der langjährige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) wusste es schon 1988: Es droht die Gefahr einer „durchmischten und durchrassten Gesellschaft“. Thilo Sarrazin (SPD) schrieb 2010, die „islamische Immigration“ sei geprägt durch „fordernde, den Sozialstaat in Anspruch nehmende, kriminelle, andersartige, frauenfeindliche Einstellungen mit fließenden Übergängen zum Terrorismus.“ Erst Anfang diesen Jahres sprach die CSU – immerhin Bestandteil unserer heutigen Regierung – folgerichtig wieder vom „massenhaften Asylbetrug“ und forderte: „Wer betrügt, der fliegt“.

Am Feindbild Islam und Asylbewerber arbeiteten auch Medien, Minister und Kirchenvertreter fleißig, sodass Menschen an Terror denken und Angst kriegen, wenn sie eine Frau mit Kopftuch oder einen Mann mit langem Bart sehen.

Als im Oktober 2014 über 5 000 „Hooligans gegen Salafisten“ durch Köln zogen und wenig später die „Pegida­Spaziergänge“ Tausende mobilisierten, wurde sichtbar: Dieses von oben aufgebaute Feindbild hat eine – in dieser Größe und Kontinuität bisher unbekannte – Massenbewegung gefunden, deren Richtung, das ist über jeden Zweifel erhaben, nach rechts weist. Wie beständig sie ist, bleibt einstweilen Spekulation.

Die Formierung dieser neuen und gefährlichen Bewegung wird vom Staat unterstützt. Die Polizei garantiert das Auftreten „Pegida“ und Faschisten in Innenstädten, Sigmar Gabriel (SPD) attestiert ein „Recht darauf, deutschnational zu sein“. Die sächsische Landeszentrale für politische Bildung organisierte Presseräume, ihre Website und Veranstaltungen fördern Verständnis für „Pegida“ und deren Positionen.
Allerspätestens seitdem die Wahrheit über die NSU-Mordbande und ihre diversen Verquickungen mit dem sogenannten „Verfassungsschutz“ bröckchenweise ans Licht kamen und kommen, kann jeder der es will erkennen, dass es unheilige Verbindungen zwischen Faschisten und Staat gibt.

Der naserümpfende Ekel vor dem ungeschliffenen „Wir sind das Volk“- Nationalismus, mit dem Kommentatoren und Politiker Aufmärschen wie „Pegida“ oftmals gegenübertreten, weigerte sich auch nur in Erwägung zu ziehen, dass die Gründe solcher Zusammenrottungen in den politischen Maßnahmen der vergangenen 25 Jahre liegen könnten.

Die weitgehende Zerschlagung des Sozialstaates, die Beseitigung des Normalarbeitsverhältnisses, die Gängelei von Amts wegen jede Arbeit anzunehmen – und sei sie auch noch so entwürdigend und schlecht bezahlt – all diese per Parlamentsbeschluss umgesetzten Schritte haben hunderttausende Staatsbürger als Vereinzelte und Ausgegrenzte zurückgelassen, die sich tagein, tagaus einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf stellen und ihre Haut zu Markte tragen müssen.

Es dürften vor allem solche Leute sein, die sich da auf Dresdens Straßen als ein einig Volk zusammenfinden, um ein Erlebnis von Gemeinschaft zu erfahren, das sich in der restlichen Woche nicht einstellen will: Abgehängte, mit Hartz IV Abgespeiste, kleine Selbständige, deren Inventar der Bank gehört, auch Arbeiter und Angestellte, deren Beschäftigungsverhältnis prekär ist, Leute jedenfalls, die den Abstieg fürchten oder ihn schon hinter sich haben.

Als in sächsischen Städten vor 25 Jahren schon einmal der Ruf „Wir sind das Volk“ erscholl, da ging es den einen, denen mit den Bürgerrechtlerbärten, um mehr Demokratie. Die anderen aber, die mit den Deutschlandfahnen, wollten die D-Mark. Sie trieb die Sehnsucht nach Teilhabe am rheinischen Kapitalismus mit seinen Konsumverheißungen an. Der von Erhardt versprochene „Wohlstand für alle“ in einer formierten Gesellschaft mit unbefristeten, gutdotierten Arbeitsverhältnissen und sicheren Renten war, was diese Leute begehrten. Doch statt des eigenen Heims gab es Hartz IV.

Ein Vierteljahrhundert später hat man nicht begriffen, dass die ersehnte Ruhe, die Sorglosigkeit und Unbedrängtheit einer provinziellen Bonner Republik, in der an Weltpolitik kaum gedacht werden konnte, nicht zu haben war. Man hat nicht begriffen, dass gerade die Existenz des Staates, der ihnen unerträglich geworden war, die Voraussetzung und die Garantie jener goldenen Zustände im Westen abgab, derer man teilhaftig zu werden verlangte. Das Verschwinden der DDR bedeutete das Verschwinden der alten BRD.

Der heutige ungezügelte Kapitalismus basiert auf einer rein wirtschaftlichen Freiheit, die auch „die Freiheit“ arm zu sein einschließt. „Ein solcher Freiheitsbegriff hat merkwürdige Konsequenzen: Ein verarmter Mensch, der Arbeit für Hungerlöhne annehmen muss, weil andernfalls seine Existenz gefährdet wäre, ist aus dieser Perspektive frei… Ein reicher Mensch hingegen, dem staatliche Strukturen Geld wegnehmen, um es Ärmeren zu geben, ist aus dieser Perspektive nicht frei.“ beschreibt es der Gewerkschafter Patrick Schreiner in einem neuen Beitrag zum neoliberalen Gesellschaftssystem („Unterwerfung als Freiheit - Leben im Neoliberalismus“,  Patrick Schreiner, PapyRossa Verlag, 2015)

Noch etwas hat sich in der jüngsten Zeit in dieser Republik an Neuem ergeben. Mit der AfD ist in den vergangenen Jahren eine Kraft entstanden, die sich dauerhaft rechts von der CDU ihren Platz erobern könnte. Noch ist nicht eindeutig ausgemacht, wohin die Reise geht. Noch lässt sich nicht mit aller Klarheit sagen, welche Teile des Kapitals hinter dieser sogenannten „Alternative für Deutschland“, die als Marktradikal und Deutschnational beschrieben wird, stehen. So viel ist aber klar: diese Partei ist eine Partei des Kapitals oder besser gesagt bestimmter Teile. Ein paar Hinweise gibt es gleichwohl. In einer leider kaum beachteten Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom September 2013 wurden die Positionen deutscher Wirtschaftsverbände zur Eurokrise untersucht. Auffällig daran war in welch verblüffender Weise die Positionen des Verbandes der Familienunternehmen mit denen der AfD übereinstimmten.

Während sich also einerseits im Inneren angeblich „nur Deutschnationale“ und Neofaschisten formieren und Anhang gewinnen, führt der deutsche Imperialismus international wieder Krieg oder lässt Kriege führen.

Einstweilen wird dieses Programm mit einer ethischen Ummantelung betrieben. Es gehe um Demokratie und Menschenrechte, heißt es allenthalben. Das macht die Sache nicht minder reaktionär. Es geht tatsächlich um Kontrolle und Vorherrschaft über andere Länder und Zugriff auf Rohstoffe. Dies schafft somit die Armut, die Flucht und Flüchtlinge erzeugt, vor denen wir dann wieder durch Verschärfungen im Asylrecht und Europas aggressive Grenzpatrouille „Frontex“ „geschützt“ werden müssen.

60.000.000 Menschen sind auf der Flucht. 230.000.000 (Millionen!) Kinder leben in Länder und Regionen, die mit Kriegen überzogen sind. Die reichen imperialistischen Länder stellen 25 % der Weltbevölkerung, verbrauchen aber über 60 % der Nahrungsmittel. So viele Menschen sind auf der Flucht, weil die Lebensbedingungen in Afrika dramatisch schlecht sind. Eroberungs- und Bürgerkriege toben – mit direkter oder indirekter deutscher Beteiligung – z. B. in Afghanistan, dem Irak, Libyen, Syrien oder dem Jemen, welche durch schändliche Rüstungs- und Waffenexporte bewusst inszeniert werden. Landraub in Afrika, massive Ausbeutung von Ölfeldern, leergefischt Küsten sind Konsequenzen der imperialistischen Realität. Agrarimporte, tonnenweise Hühnerschenkel und Billigfleisch aus der EU zerstören die Lebensexistenz von Hunderttausenden!

Die Ursachen für Flucht – und damit auch die Flüchtlinge – schafft die herrschende imperialistische Politik also selber. Genau wie die Abertausenden von Toten im Mittelmeer durch die massive Einmauerung Europas. Alle aktuellen Militäraktionen der Gegenwart sind nur Krokodilstränen hierzu.

Im eigenen Land verstärkt der kapitalistische Staat wiederum seine Angriffe auf die Rechte der Bevölkerung. Die Einschränkung des Streikrechts durch die sogenannte „Tarifeinheit“, die Möglichkeit, den Personalausweis zu entziehen, die Vorratsdatenspeicherung, der Aufbau einer speziellen „AntiTerror­Einheit“ der Bundespolizei: Die Bourgeoisie wappnet sich gegen die Arbeiterklasse. Für die Ausweitung der Kriegsführung, für die Abwälzung der Krisenlasten sorgt der bürgerliche Staat durch eine reaktionäre, aggressive Bewegung und den Umbau des Staatsapparats vor.

In Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung komatös darniederliegt, ist das Bewußtsein von der Zugehörigkeit zu einer Klasse verschütt gegangen. An seine Stelle tritt die Verbundenheit mit der Nation, die sich nach außen gegen Eindringlinge abgrenzt.

Dementsprechend klingen denn auch die einschlägigen, bei Pegida – aber auch bei Teilen der bürgerlich-Konservativen – nachzulesenden Forderungen: »Null-Toleranz-Politik«, »sofortige Abschiebung«, »verstärkte Wiedereinreisekontrollen«.

Angerufen wird damit der starke Staat, sich endlich zu rühren. Sollte er das nicht tun, werde man, so die unterschwellige Drohung, eben selbst Hand anlegen. Die „Pegida“ und „Hogesa“-Demonstranten tragen in ihrer Ordnungssehnsucht längst schon Uniform im Geiste. Darin äußert sich bei aller Unzufriedenheit und Wut ein prinzipielles Einverständnis mit den staatlichen Einrichtungen. Im Tausch für die erteilte Loyalität wird eine restriktivere Einwanderungspolitik verlangt.

Auch hier ist noch nicht klar, ob und welche Fraktion des Kapitals sich dieses Potential der Straße zu Nutzen zu machen beabsichtigt. Immerhin ist aber deutlich geworden, dass es eine Arbeitsteilung zwischen Straße und Staat gibt.

Bereits Ende November 2014, da war „Pegida“ schon bundesweit Mediengespräch, verkündete Sachsens christdemokratischer Innenminister Markus Ulbig, er werde »eine spezialisierte Gruppe bei der Polizei einsetzen, die sich mit den straffälligen Asylbewerbern intensiv beschäftigen wird«.
Der Zeitpunkt der in der Dresdner Morgenpost platzierten Ansage dürfte kaum zufällig gewählt worden sein und konnte als staatsaktives Signal an die „Patriotischen Europäer“ verstanden werden. Ihr war zu entnehmen, dass nach Auffassung Ulbigs Asylbewerberheime offenbar Orte sind, an denen Kriminelles ausbaldowert wird und nicht etwa solche, die des permanenten Schutzes vor Leuten bedürfen, die sich ihren Stimulus zur ausländerfeindlichen Tat auf Zusammenrottungen wie denen von „Pegida“ abholen.

Ob solche Maßnahmen, zu denen der Staat immer wieder griff, wenn es darauf ankam, einen angestachelten wütenden Mob wieder zu bändigen, ausreichen werden, um einer sichtbarer werdenden Legitimationskrise noch einmal Herr zu werden, ist noch nicht ausgemacht.

Als Alternative steht schon das ganze Spektrum rechter Organisationen und Vordenker bereit. „Freie Kameradschaften“, NPD, Verfechter der konservativen Revolution wie Götz Kubitschek, der rege Querfrontler und selbsternannte Nationalbolschewik Jürgen Elsässer – sie alle sehen in „Pegida“ den endlich erwachsenen Massenanhang zur Realisierung ihrer eigenen Ziele und Zwecke.
In der AfD könnte, mit Pegida als Schwungmasse, der nationalkonservative Flügel um Alexander Gauland und Frauke Petry gegen den von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel repräsentierten nationalliberalen letztlich obsiegen. Wer auch immer sich durchsetzen wird, zu prognostizieren, dass sich diese Republik weiter nach rechts entwickeln wird, ist nicht gewagt. Friedlicher wird sie dadurch gewiss nicht – weder nach innen noch nach außen.

Radikaler Imperialismus nach Außen und ungezügelter Kapitalismus nach Innen, dies kennzeichnet die gegenwärtige Politik und bestätigt eindrucksvoll Lenins These vom „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“.

Noch stehen wir sicher nicht vor der Errichtung einer faschistischen Diktatur, aber der Antifaschist und Kommunist Georgi Dimitroff formulierte die Bedeutung des Kampfes gegen alle dahin gehenden Tendenzen: „Genossen, man darf sich den Machtantritt des Faschismus nicht so simpel und glatt vorstellen, als ob irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluss fasst, an diesem und diesem Tage die faschistische Diktatur aufzurichten. (…) Wer in den Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der erleichtert ihn vielmehr.“

In diversen Ländern dulden, ja fördern, unsere imperialen Herrscher wieder offen faschistische Regime: in Ungarn oder der Ukraine zum Beispiel. Noch sind in Deutschland die Biedermänner und Brandstifter, die Deutschnationalen und offenen Faschisten nicht direkt gewollt. 

»Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.« definierte Georgi Dimitroff den Faschismus auf dem VII. Weltkongress der Komintern (25. Juli bis 20. August 1935).
Neben dem rassistischen und antisemitischen Standbein ist unbestreitbar die dritte – heute gern verschwiegene – tragende Säule der faschistischen Ideologie der Kampf gegen die Arbeiterbewegung, gegen den Marxismus, gegen die Gewerkschaften, gegen alle fortschrittlichen Kräfte.

Wie gesagt, noch stehen wir sicher nicht vor der Errichtung einer faschistischen Diktatur. Wenn nun zukünftig aber immer mehr Menschen, wie aktuell in Südeuropa (Griechenland, Spanien, Italien), gegen die unmenschlichen Auswüchse des Kapitalismus, des Imperialismus, aufstehen und Widerstand leisten, was passiert dann? Wird dann für das Kapital die faschistische Karte doch wieder interessant? Das muss verhindert werden!

In diesem Kontext muss man die aktuellen Ereignisse sehen, dann wird deutlich, warum der Widerstand bereits jetzt unverzichtbar ist!

Daher fordern wir Lübecker Kommunistinnen und Kommunisten 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus und im Angesicht der Ereignisse in der Hafenstraße, am Bornkamp und in Kücknitz:

Wehret den Anfängen! Nichts und Niemand ist vergessen!

Organisiert den Widerstand!

Keine weiteren Asylrechtsverschärfungen!

Keine Militäreinsätze im Mittelmeer!

Lübeck heißt Flüchtlinge willkommen – Kein Fußbreit den Faschisten!

NIE WIEDER FASCHISMUS! NIE WIEDER KRIEG!

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